Corona-Pandemie: Wenn die Eltern plötzlich an Verschwörungstheorien glauben

Seit dem Ausbruch des Coronavirus glauben viele Menschen an Verschwörungserzählungen – auch solche, die bislang nicht dadurch auffielen. Die Folgen können verheerend sein. Wie können Angehörige den Betroffenen helfen?

Die Pandemie ist die Stunde der Verschwörungserzählungen. Die beste Freundin teilt sie auf Facebook. Der eigene Vater schickt ein YouTube-Video, das vor angeblich finsteren Hintergedanken der Regierung warnt. Alte Bekannte installieren die Messenger-App Telegram und treten dort Gruppen bei, in denen ständig neue Mythen zum Coronavirus in die Welt geschleudert werden. Was ist mit diesen Menschen passiert, die man zu kennen glaubte?

Die Erklärungen für die Corona-Pandemie, die im Netz kursieren, sind mindestens abenteuerlich. Hinter dem Virus stecke der Milliardär Bill Gates, heißt es etwa. Der verfolge einen Geheimplan, um der gesamten Menschheit durch Impfungen einen Mikrochip zu implantieren. Auch einen Zusammenhang mit Mobilfunkstrahlung, die das Immunsystem schwäche, wollen einige ausmachen.

Angebliche Belege, die Verschwörungsideolog:innen für ihre Behauptungen liefern, beruhen auf Missverständnissen oder sind schlichtweg erfunden. Dass Tausende Menschen sie nun dennoch glauben, scheint geradezu lachhaft. Die Pandemie, sie wird begleitet von einer „Infodemie“, wie die Weltgesundheitsorganisation es nannte. Doch die Lage ist ernst. Denn die Mythen sind nicht nur eine Gefahr für die Gesundheit, sondern auch für das soziale Umfeld der Betroffenen.

Zahl der Verschwörungsgläubigen nimmt wohl rasant zu

Der Verein Sekten-Info NRW betreut vor allem Angehörige von Menschen, die sich sogenannten Sekten angeschlossen haben, befasst sich aber auch mit Verschwörungsgläubigen. 40 Fälle hat er nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr gezählt. Seit dem Ausbruch der Pandemie beklagt Leiterin Sabine Riede einen rasanten Anstieg. Inzwischen erreichten sie und ihre Kolleg:innen täglich Hilfegesuche. Früher hätten vor allem jüngere Menschen Verschwörungserzählungen angehangen. Heute meldeten sich häufig Angehörige, die sich um die Eltern sorgen, die längst über 60 sind.

Giulia Silberberger, die mit ihrer Organisation „Der goldene Aluhut“ über Verschwörungsideologien aufklärt, berichtet ähnliches. Über Nacht seien schon wieder sechs Beratungsanfragen eingegangen, erzählt sie netzpolitik.org Anfang Mai.

„Ich höre gerade von allen Ecken und Enden, dass Menschen sich plötzlich zu solchen Inhalten hinwenden, wie sie sie vorher nie geteilt haben“, sagt auch die Psychologin Pia Lamberty, die an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz zu Verschwörungsideologien forscht. Sie hat ein Buch zum Thema geschrieben, das am Freitag erscheint („Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“, gemeinsam mit Katharina Nocun). Das Phänomen lasse Angehörige von Verschwörungsgläubigen ratlos zurück. „Es gibt noch viel Unsicherheit, wie man mit dem Thema umgehen soll.“

Die Angehörigen müssen erkennen, wie groß die Bedrohung wirklich ist, die von den Mythen ausgeht. Um Freund:innen oder Familienmitgliedern helfen zu können, sollten sie verstehen, was diese dazu verleitet, plötzlich die seltsamsten Dinge zu glauben.

Ein weltweites Phänomen

Die „Mitte-Studie“ der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem vergangenen Jahr, an der auch Pia Lamberty beteiligt war, hat gezeigt, dass 46 Prozent der deutschen Bevölkerung glauben, es gebe geheime Organisationen, die Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Das deutet auf ein großes Potenzial für Verschwörungsmythen in der Gesellschaft hin.

Ein Problem, das nun neue Ausmaße annimmt, weil es offensichtlich viele Menschen betrifft, die zuvor nie in einem solchen Zusammenhang aufgefallen sind. Menschen, die auch nicht in den Kreisen verkehren, an denen sich solche Erzählungen üblicherweise verbreiten.

Es geht nicht mehr um Menschen, die Stunden in dubiosen Unterforen auf Reddit verbringen. Durch die Pandemie verbreiten sich die Inhalte zum Coronavirus auf Facebook oder YouTube viral, massenhaft. Einige Plattformen löschen sie, kommen aber kaum hinterher. Dann verlagert sich ihre Verbreitung zum Beispiel auf den Messenger-Dienst Telegram, der gerade viele neue Nutzer:innen zu gewinnen scheint, und dem Treiben freien Lauf lässt.

Selbst diejenigen, die nicht in den sozialen Medien aktiv sind, bekommen Wind von den vermeintlichen Verschwörungen rund um das Coronavirus. Die Pädagogin Sabine Riede von der Sektenberatung erzählt von älteren Menschen, die in Telefongesprächen mit Verschwörungserzählungen in Kontakt gekommen seien, durch Freund:innen, die irgendwo irgendetwas gehört haben wollen. „Und dann gehen sie selbst ins Internet und gucken.

Ein Superverschwörungsmythos wird Mainstream

Die Dimensionen, die dieses Phänomen dieser Tage erreicht, sind für Deutschland neu. Ein Blick in die USA zeigt, welche gravierenden Folgen diese Entwicklung haben könnte. Im Netz verbreitete Verschwörungserzählungen haben dort bereits den Weg in den Mainstream gefunden, in Form von QAnon, einer Art Superverschwörungsmythos.

Dabei geht es um angebliche Insider im Militärgeheimdienst, Satanismus oder einen „Staat im Staat“, vermischt mit vielen weiteren Erzählungen. Seinen Ursprung hat QAnon unter Anhänger:innen von US-Präsident Donald Trump. Seit 2017 erschienen Verschwörungsgläubige immer wieder in Scharen bei seinen Wahlkampfveranstaltungen.

Der US-amerikanische Verschwörungserzählungs-Forscher Mike Rothschild hat QAnon von Anfang an beobachtet. Nun sieht er deutliche Überschneidungen zwischen der Bewegung und den kruden Mythen, die sich um das Coronavirus ranken. „QAnon fand man zunächst in den schlimmsten Ecken des Internets. Aber dann stieß die Generation der Baby-Boomer darauf und teilte diese Inhalte auf Facebook.“ Rothschild zufolge verbreiten heute große QAnon-Gruppen die Lügen zum Coronavirus. Teilweise finden sie sich auch in einem vermeintlichen Aufklärungsvideo namens „Plandemic“ wieder, das gerade im englischsprachigen Raum viral ging.

Eine Strategie, um Ängste zu bewältigen

Eine entscheidende Rolle spielt die Verunsicherung, die viele Menschen in der gegenwärtigen Situation empfinden. Das Coronavirus löst eine schwere Wirtschaftskrise aus, Existenzen sind bedroht. Eine Gefahr, die große Ängste erzeugt, verständlicherweise. „Wir können das Virus nicht beherrschen, es beherrscht uns“, sagt Giulia Silberberger vom „Goldenen Aluhut“. „Für viele geht es jetzt darum, das Gefühl der Kontrolle zurückzugewinnen.“

Manchem dienen die Verschwörungserzählungen wohl dazu, diese unsichtbare Bedrohung greifbar zu machen. Psychologin Lamberty zufolge sind Krisen ein typischer Auslöser dafür, dass Menschen in solche Welten abrutschen. Hinter großen Ereignissen vermuteten sie auch große Ursachen, sie suchen mitunter einen Schuldigen.

Oft geht es dabei um vermeintliches Geheimwissen: Man glaubt, durchschaut zu haben, was wirklich passiert, während alle anderen blind sind. Das verringert den Eindruck der Machtlosigkeit und steigert das Selbstwertgefühl. „Wir merken, dass Leute anfälliger sind, die selber ängstlich sind“, sagt Sabine Riede.

Häufig gibt es den Expert:innen zufolge eine Vorgeschichte. Etwa ein Hang zu alternativen Heilmethoden wie Homöopathie oder massive Vorbehalte gegenüber Impfungen. Vorzeichen einer beunruhigenden Entwicklung, die sich jetzt erst so richtig in Gang setzt.

Deutliche Parallelen zum Beitritt zu einer sogenannten Sekte

Vieles von dem, was mit den Betroffenen geschieht, erinnert an den Beitritt zu einer sogenannten Sekte. „Es fängt ähnlich an“, sagt Giulia Silberberger, die selbst jahrelang bei den Zeugen Jehovas war, bis sie den Ausstieg schaffte. „Sekten predigen draußen, Verschwörungsideologen im Netz. Und Menschen, die in einer emotionalen Notlage sind, springen darauf an.“ In einem solchen Umfeld neige man dazu, verstörende Elemente der Wirklichkeit einfach auszublenden und Dinge zu glauben, die vollkommen widersprüchlich sind.

Wie bei sogenannten Sekten werden auch bei Verschwörungsideologien komplexe Sachverhalte auf einfache Erklärungen reduziert. Die Toleranz für anderslautende Meinungen schwinde, sagt Sabine Riede von Sekten-Info NRW. Mitunter würden Gläubige sogar aggressiv. Ein typisches Merkmal für beide sei die Unterteilung der Welt in Gut und Böse. „Das sollte einen schon misstrauisch machen.“

Am Ende schotten sich Betroffene womöglich ab und bleiben unter Gleichgesinnten. „Menschen können von einer Verschwörungstheorie so überzeugt sein, dass sie ihr ganzes Leben verändern und den Kontakt zu ihren Lieben abbrechen“, so Riede. „Das sind die gleichen Symptome, wie wenn jemand in eine sogenannte Sekte gerutscht ist.“

QAnon führte zu Gewalttaten und zerstörte Familien

Die Entwicklung der Anhänger:innen von Verschwörungsmythen rund um das Coronavirus steht erst am Anfang. Einen düsteren Ausblick auf ihre möglichen Folgen bietet indes die Erfahrung aus den USA mit QAnon.

Mike Rothschild berichtet von Angehörigen Verschwörungsgläubiger, die ihn kontaktiert hätten. Beziehungen, die darunter gelitten haben, Familien, die auseinander gerissen wurden. „Eine Frau hat mir erzählt, sie lasse ihre Tochter nicht mehr zu ihrer Schwiegermutter, weil diese ihr sonst QAnon-Videos vorspielt“, sagt Rothschild.

Das FBI warnte 2019, QAnon könnte Gewalttaten zur Folge haben. Geschehen ist das längst. In New York tötete ein Mann einen Mafiaboss mit sechs Schüssen, für seine Anhörung vor Gericht malte er sich ein Q auf die Handfläche. In Arizona blockierte ein Mann mit einem gepanzerten Auto eine Brücke, um das Justizministerium zu zwingen, einen Bericht zu veröffentlichen, im Namen von QAnon. Polizist:innen fanden in seinem Wagen Schusswaffen.

Seit dem Ausbruch des Coronavirus schreiten auch in Europa Verschwörungsgläubige zur Tat. In Großbritannien setzten sie 5G-Masten in Brand. „Verschwörungserzählungen sind handlungsleitend“, sagt Lamberty. Wer an vermeintliche Verschwörungen glaube, neige auch stärker zu Gewalt. Manche sehen darin auch eine Rechtfertigung, um politische Ziele mit Gewalt zu erreichen.

Gemeinsam über die dubiosen Informationen sprechen

Angehörige von Menschen, die neuerdings diesen Ideologien anhängen, sind regelrecht verzweifelt, sagt Sabine Riede. „Sie rufen unsere Beratungsstelle an und würden am liebsten ein Zauberwort hören, mit dem sie ihre Mutter oder ihren Vater wieder auf die rechte Bahn holen können.“ Aber so einfach ist es natürlich nicht.

Zunächst müssen Angehörige erkennen, wie weit die Entwicklung bei den Betroffenen fortgeschritten ist. Denn nicht jeder, der einen Link zu einer Verschwörungserzählung weiterschickt, ist bereits abgerutscht in die gefährliche Welt, die sich dahinter verbirgt.

Stehen die Angehörigen erst am Anfang, kann eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Mythen ein wirksames Mittel sein.

Riede rät, danach zu fragen, woher die Informationen stammen und sie zusammen aufzurufen, auch über die Quellen zu sprechen. Dazu gehört unter Umständen auch sich anzusehen, welche Inhalte auf der entsprechenden Website oder auf dem YouTube-Kanal darüber hinaus zu finden sind. Aus dem Zusammenhang kann den Angehörigen dann klar werden, dass sie einer Lüge aufgesessen sind – etwa weil es sich bei den Verfasser:innen der Artikel um bekannte Verschwörungsideolog:innen handelt, die sich selbst bereichern wollen.

Faktenchecks können helfen – aber nur zu Beginn

Häufig verbreiten sich die Erzählungen, weil Menschen die nötige Medienkompetenz fehlt. Sie können schlichtweg nicht einschätzen, wie glaubwürdig bestimmte Internetangebote sind. Um entgegen zu steuern, sollte man gemeinsam seriöse Nachrichtenangebote besuchen.

Tag für Tag nehmen Medien wie Correctiv oder Mimikama die Lügen rund um das Coronavirus mit Faktenchecks auseinander. Viele der Behauptungen, die durchs Netz geistern, haben sie bereits widerlegt.

So abstrus die Mythen aber auch sein mögen: Riede warnt davor, die Verschwörungsgläubigen für ihre Ansichten auszulachen oder wütend darauf zu reagieren. Stattdessen sollte man mit den Angehörigen auf Augenhöhe sprechen, sie ernst nehmen – auch dann, wenn es schwer fällt. Wem das nicht gelingt, der erreicht womöglich das Gegenteil des gewünschten Effekts. „Das wird eher zu einer Verhärtung der Fronten führen“, so Riede.

Dann wenden sich die Angehörigen womöglich von einem ab und einer anderen Gruppe zu. „Am Rande unserer Gesellschaft sind Verschwörungsideologen, die nur darauf warten, dass wir diese Menschen aus unserer Mitte ausschließen, damit sie sie aufnehmen können“, sagt Giulia Silberberger vom „Goldenen Aluhut“.

Das Ziel ist deshalb nicht, für jede falsche Aussage einen Gegenbeleg zu finden. Angehörige müssen geduldig sein. Die Meinung zu ändern, ist etwas, das Zeit braucht. Zudem will sich niemand vor anderen Menschen blamieren. Gerade Eltern könnte es Riede zufolge peinlich sein, vor ihren erwachsenen Kindern zugeben zu müssen, dass sie auf einen Verschwörungsmythos hereingefallen sind.

Verschwörungserzählungen haben mehr mit Gefühlen zu tun als mit dem Verstand

Ist die Entwicklung schon zu weit fortgeschritten, bringt auch das gut gemeinte Dagegenreden nichts mehr. Angehörige können dann nur noch an der Ursache ansetzen. Eben weil der Glaube an Verschwörungserzählungen eine Strategie ist, um Ängste zu bewältigen, hat er wenig mit dem Verstand zu tun, und viel mit Gefühlen.

Sabine Riede von der Sektenberatung zufolge gibt es verschiedene Merkmale, die darauf hindeuten, dass Angehörige diesen Punkt erreicht haben könnten. Zum Beispiel, wenn sie von einem kollektiven „Wir“ sprechen, das sich gegen „die“ stellt, häufig eine anonyme Elite, die vermeintlich im Hintergrund die Fäden zieht. Die Vorstellung deutet auf die „Neue Weltordnung“ hin, das angebliche Ziel der Verschwörer:innen. Bei dieser Ideologie verlaufen die Grenzen zum Antisemitismus fließend.

Die Behauptung, dass diese Schattenmacht längst Politiker:innen und sogenannte Mainstream-Medien kontrolliere, ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass jene nächste Phase des Verschwörungsglaubens erreicht ist. Oft konsumieren die Gläubigen zu diesem Zeitpunkt schon keine seriösen Nachrichten mehr, sagt Riede. Denn diese würden ihre Ängste bloß verstärken.

Sie beginnen damit, sich zu isolieren, begehen Realitätsflucht. Aus den anfänglichen Zweifeln ist ein neues Weltbild geworden. Für Argumente sind sie nun kaum noch zugänglich, weil sie sogenannte Bestätigungsfehler begehen: Informationen, die nicht ihren gefestigten Vorstellungen entsprechen, werden ausgeblendet. „Wer dann von außen mit einem Faktencheck kommt, ist der Feind“, so Silberberger. „Fakes werden dagegen als weitere Bestätigung für das schon bestehende Weltbild genommen.“

Das eigene Weltbild dekonstruieren

Also investieren die Betroffenen immer weiter in die Verschwörungserzählung, wollen andere von deren Richtigkeit überzeugen. Jeder Link, den sie auf Facebook oder Telegram teilen, mache es unwahrscheinlicher, dass sie bereit sein werden, sich davon zu lösen, wenn man sie mit gegensätzlichen Belegen konfrontiert, so die Psychologin Pia Lamberty. Sie schlägt vor, stattdessen vor allem Fragen zu stellen. Und den Angehörigen damit zu helfen, ihr eigenes Weltbild selbst zu dekonstruieren.

Die Sektenberatung verfolgt eine ähnliche Strategie. „Wir sprechen mit Menschen dann gerne über andere Ideologien, zum Beispiel Scientology. So lassen wir sie selber erkennen, was daran falsch ist“, sagt Riede.

Wer Angehörigen helfen will, muss herausfinden, warum sie Verschwörungserzählungen anhängen, was dieser Glaube ihnen bedeutet, und letztlich, was er ihnen bringt. „Im Gespräch merkt man, ob es beispielsweise eine Angst vor Impfungen gibt oder ob sich jemand vor allem wichtig machen will“, so Riede. „Wenn sich ältere Menschen wichtig machen wollen, sind sie oft schon sehr einsam und haben Angst, hilflos dazustehen.“

Geschichten erzählen, Ängste abbauen

Viel lasse sich zudem mit emotionalen Anekdoten erreichen, am besten mit Bezug zu einem selbst. Schauermärchen über die angeblichen Folgen von Impfungen könnte man zum Beispiel begegnen, indem man klar macht, wie wenig man sich selbst vor diesen fürchtet, und welche gefährlichen Konsequenzen das Coronavirus für viele Menschen hatte, die daran erkrankt sind, weil es noch keinen Impfstoff gibt.

Schlussendlich geht es darum, den Betroffenen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, das sie sich andernfalls im Verschwörungsglauben verschaffen. Riede rät, ganz ruhig mit den Angehörigen zu sprechen. „Anteilnahme beruhigt einen Menschen mehr und löst ihn eher aus seinem Gedankengut als dagegen zu reden.“

Aber auch diese Strategie kann scheitern. Oft geschehe dies, wenn man anfangs zu lange gezögert habe und die Betroffenen bereits zu tief in diese Welt abgerutscht seien, so Riede.

Aber was dann? Besteht die Möglichkeit, zu akzeptieren, dass Angehörige dem Verschwörungsglauben verfallen sind?

Am Ende droht die Trennung

„Man kann das durchaus ausblenden“, sagt Silberberger. Im Fall ihrer eigenen Mutter bei den Zeugen Jehovas habe sie das schlussendlich getan. „Die Frage ist: Lässt einen die Person dann wirklich in Ruhe?“

Riede indes hält das höchstens für eine Übergangslösung. Sie rät dazu, zwischenzeitlich auch über andere Dinge zu sprechen, damit sich die Gemüter beruhigen können. Notfalls selbst eine Pause vorzuschlagen. Und dann womöglich abzuwarten, bis die Angehörigen von alleine wieder auf ihren Verschwörungsglauben zu sprechen kommen.

Eine Voraussetzung, um Betroffenen helfen zu können, ist Riede zufolge die emotionale Bindung zu ihnen. Deshalb sollte man diese nicht riskieren. „Wenn dieser Mensch sich schon mehr seinen vermeintlichen Freunden im Netz verbunden fühlt, kann man nicht mehr viel machen.“

Ist irgendwann schließlich eine Grenze erreicht, könne auch Sekten-Info NRW nur noch dazu raten, sich zurückzuziehen. Der Eintritt in sogenannte Sekten habe auch Scheidungen zur Folge. „Weil man irgendwann erschöpft ist und nach all den Versuchen, den anderen zu retten, nichts mehr geht“, sagt Riede. „Dann muss man mit der Trennung klarkommen – selbst, wenn es um ältere Leute geht, die überraschend in so etwas reingerutscht sind.“

Gegenrede im Netz

Am vergangenen Wochenende gingen in Deutschland Tausende auf die Straßen. Sie verharmlosen die Krankheit und fördern demokratiefeindliche Bestrebungen. Als Teil sogenannter „Hygiene-Demos“ protestierten sie gegen die Coronavirus-Maßnahmen der Regierung, Bill Gates oder 5G.

Diese Menschen sind ein wesentlicher Teil des Problems. Sie tragen das Virus der „Infodemie“ in sich, wie die Weltgesundheitsorganisation die Lügen schon Anfang Februar nannte. Ein Virus, mit dem sich auch die eigenen Angehörigen sprichwörtlich anstecken könnten wie mit Corona selbst.

Womöglich gibt es einen Weg, die Ausbreitung der „Infodemie“ zumindest zu verlangsamen. Auch wer selbst keine Angehörigen hat, die an die Verschwörungserzählungen glauben, kann die Kanäle aufsuchen, auf denen sie verbreitet werden – und dagegen halten.

Sabine Riede bezweifelt, dass man fremde Menschen so von ihrem Verschwörungsglauben abbringen kann. Die emotionale Bindung dazu fehlt. Aber die Mythen dürfen auch nicht unwidersprochen im Netz stehen bleiben. „Andere, die das lesen, merken so, dass doch nicht alle einer Meinung sind.“


Textlizenz: Creative Commons BY-NC-SA 4.0

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