ARD Kontraste

Interne Dokumente: Warum ein Investor das Abschiebezentrum am BER bauen soll

Brandenburg will sein neues Abschiebezentrum am BER von einem Investor bauen lassen – angeblich, weil ihm das Grundstück gehört. Recherchen des ARD-Politikmagazins Kontraste, von rbb|24 und der Transparenzplattform „FragDenStaat“ legen einen anderen Grund nahe: nämlich einen linken Finanzminister zu umgehen.

Sogar eine Enteignung habe man geprüft, sagt Brandenburgs Innenminister – vergeblich. Der Investor habe sein Grundstück nicht verkaufen wollen. Der Auftritt von Michael Stübgen (CDU) im Innenausschuss Anfang Mai ist der eines Mannes, der wirklich alles versucht haben will. Es geht um das geplante Behördenzentrum am BER.

In einem Neubau in Flughafennähe sollen künftig unter anderem Menschen festgehalten werden, deren Abschiebung bevorsteht. Den Bau übernehmen soll der Investor, Grundstückseigentümer und im Zusammenhang mit einem Schmiergeldskandal vorbestrafte Unternehmer Jürgen B. Harder.

Zusammenarbeit mit Harder nicht unumgänglich

Glaubt man Stübgen, hängt die Zukunft des Projektes vor allem an der Standortfrage und damit an einer Zusammenarbeit mit Harder. Im Ausschuss behauptete der Innenminister, dass diese Abhängigkeit bereits 2018 klar gewesen sei: „Das einzige Territorium, was in dem Zusammenhang noch bebaubar sein könnte, ist genau dieses, das zu großen Teilen der Investor besitzt“.

Stübgen hat die politische Verantwortung für das Vorhaben geerbt. Als die Planung begann, war noch sein Vorgänger Karl-Heinz Schröter (SPD) im Amt. Der teilt auf Anfrage mit, er könne sich nicht mehr genau an die Vorgänge erinnern. So bleibt nur der Blick in die Akten: Das ARD-Politikmagazin Kontraste, der rbb und die Transparenzplattform „FragDenStaat“ haben mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) hunderte interne Dokumente mehrerer Landes- und Bundesbehörden erhalten und ausgewertet. Gemeinsame Recherchen belegen nun, dass eine Zusammenarbeit mit Harder alles andere als unausweichlich war.

Investorenlösung offenbar favorisiert

Als langfristige Untermieter sollen neben dem Land auch die Bundespolizei und das BAMF in das Abschiebezentrum einziehen. In den Aufzeichnungen des Bundesinnenministeriums (BMI) findet sich ein Hinweis darauf, warum Brandenburgs Innenministerium (MIK) das Projekt wohl wirklich mit einem Investor plante. Im Januar 2019 fasst das beim BMI für Abschiebungen zuständige Referat R1 den Stand des Projektes zusammen: „Da der Finanzminister von der Linken gestellt wird, will der Innenminister kein eigenes Gebäude errichten, sondern von einem Investor errichten lassen und dann anmieten“.

Das MIK teilt mit, das damalige Interesse an einer Investorenlösung habe „ausschließlich mit der Realisierungsgeschwindigkeit und der Verfügbarkeit geeigneter Flächen in Flughafennähe zu tun“ gehabt. Eine Sprecherin des BMI verneint zwar, dass Schröter selbst diese Begründung genannt habe. Ein betreffender Eindruck könne allerdings durch Gespräche zwischen den beteiligten Akteuren der verschiedenen Ebenen entstanden sein.

Kostentransparenz, wenn Miete fällig wird

Das Abschiebezentrum von einem externen Investor bauen zu lassen, birgt einen strategischen Vorteil: Im Landeshaushalt tauchen die Kosten erst auf, wenn der Bau fertiggestellt ist und das Abschiebezentrum bezogen wird – also die Miete fällig wird. Hätte das Land hingegen selbst gebaut, hätte es bereits die Baukosten tragen müssen. Dann hätte 2018 kein Weg vorbei geführt am Landeshaushalt und damit am Landesfinanzminister – damals Christian Görke, der für die Linke heute im Bundestag sitzt.

Görke sagt dem rbb und „FragDenStaat“, er habe sich aus wirtschaftlicher Sicht ausdrücklich gegen einen Neubau ausgesprochen. Das Vorgehen des damals vom Koalitionspartner SPD geführten MIK erachtet er als Affront. „Es ist ein einmaliger Vorgang, dass versucht worden ist, ein zuständiges Ministerium und den Finanzminister zu umgehen“.

Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Brandenburger Linken, Andrea Johlige, wirft der Landesregierung aber auch heute noch Intransparenz vor. Diese wolle sich ohne Ausschreibung an einen Investor binden, der dadurch in den nächsten 30 Jahren mindestens 100 Millionen Euro verdienen werde. Auch der Landtag werde gezielt umgangen und vor vollendete Tatsachen gestellt. „Mietmodelle bedeuten immer, dass jemand mitverdient. Grundsätzlich kann die öffentliche Hand eigentlich preiswerter bauen, weil sie keinen Gewinn machen muss“.

Tatsächlich sieht sich das MIK auch nach jahrelanger Planung noch immer nicht in der Lage, zu benennen, welche Kosten auf das Land als Harders Untermieter aufkommen würden. „Aufgrund des laufenden Verfahrens auch bezüglich der Haushaltsaufstellung können derzeit keine Aussagen zu konkreten Kosten oder Finanzierung gegeben werden“, behauptet ein Sprecher.

Investor sicherte sich eine weitere, wichtige Fläche

Auf der einen Seite gibt das MIK nun an, man habe in der Anfangsphase alles versucht, um selbst einen geeigneten Bauplatz zu finden. Auf der anderen gab das Land schon 2018 ein Rechtsgutachten in Auftrag, das vergaberechtliche Fragen klären sollte – wohl um sich abzusichern. Offenbar kam man zu dem Schluss, dass ein standortneutrales Erkundungsverfahren wegen einer zwingenden räumlichen Nähe zum Flughafen nicht notwendig sei.

Anders als von Stübgen im Ausschuss dargestellt, besaß der Investor Harder zu Beginn des Projektes 2018 bloß einen vergleichsweise kleinen Teil des Areals, auf dem das Bauvorhaben realisiert werden soll. Eine interne Präsentation dokumentiert: In einem alten Entwurf sollte das Abschiebezentrum noch auf einer Fläche gebaut werden, von der Harder nur ein kleiner Teil gehörte. Nachdem Harder sich im April 2019 noch weitere Grundstücke südlich dieses Areals sicherte, änderte das Innenministerium seine Pläne. Kurz nach der Landtagswahl 2019 verschob das nun von Stübgen geführte Ministerium den Großteil des geplanten Abschiebezentrums auf diese neuen Grundstücke – eine Planungsänderung, von der vor allem Harder profitierte.

„Es ist ein einmaliger Vorgang, dass versucht worden ist, ein zuständiges Ministerium und den Finanzminister zu umgehen.“

Christian Görke (Die Linke)

Aus der Grundbuchakte, die rbb und „FragDenStaat“ einsehen konnten, geht hervor, dass Harder diese neu dazugekommenen Grundstücke noch immer nicht gehören: Er hält lediglich eine Kaufoption. Als er den Vertrag dafür unterschrieb, schien er offenbar längst von den Plänen des Landes zu wissen, in BER-Nähe ein Abschiebezentrum bauen zu lassen. Harder selbst äußerte sich zu diesem Sachverhalt nicht.

Die Planungsänderung wirft zudem die Frage auf, wie alternativlos der Wunschstandort für das Abschiebezentrum wirklich gewesen sein kann. Das MIK hat nach eigenen Angaben gar nicht erst versucht, Harder zuvorzukommen und diese nun neu in die Planung aufgenommene Fläche selbst zu kaufen. „Das Land hatte keinen Anlass, einen Erwerb zu prüfen“.

Das MIK argumentiert, bei den Planungen vor und nach der Landtagswahl 2019 handele es sich um zwei voneinander unabhängige Projekte „mit völlig anderer Zielsetzung“. Beim ersten sei es um einen Nachfolger für die Abschiebungshafteinrichtung in Eisenhüttenstadt gegangen – die Pläne dafür seien Mitte 2019 gestoppt worden. Erst im Frühjahr 2020 habe man mit der Planung für das aktuelle Projekt begonnen: einem Neubau der Flughafeneinrichtung der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg, die zu klein geworden sei.

Ein internes Briefing des BMI aus dem Januar 2019 zeichnet ein ganz anderes Bild: Demnach schwebte dem MIK im Zusammenhang mit der Planung am BER schon damals vor, „gemeinsam mit dem Bund eine größere Einrichtung vorzusehen, da eine solche kosteneffizienter geschaffen und betrieben werden könnte“.

Skepsis bei den Grünen

Die Ungereimtheiten in der Planung des Abschiebezentrums haben nun auch den aktuellen Koalitionspartner von SPD und CDU stutzig gemacht: die Grünen. Deren Landesvorsitzende Julia Schmidt sagt dem rbb und „FragDenStaat“, sie sei im Hinblick auf den Investor äußerst skeptisch. „Da braucht es jetzt auch innerhalb der Landesregierung Aufklärung, wer wann mit wem gesprochen hat“.

Sollte das Projekt ins Wanken geraten, könnte das auch den Bund betreffen. Es war dem damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) so wichtig gewesen, dass er kurz vor Ende seiner Amtszeit im vergangenen Jahr noch ein Grundsatzabkommen mit Stübgen unterzeichnete. Teil der Abmachung: Scheitern die Pläne für das Abschiebezentrum, soll nicht nur das Land entstandene Kosten tragen, sondern auch der Bund.

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