Johannes Huber: AfD-Bundestagsabgeordneter mobilisierte in verfassungsfeindlicher Telegram-Gruppe

In der Telegram-Gruppe von Attila Hildmann rief der AfD-Politiker Johannes Huber seit Juni wiederholt dazu auf, politische Gegner:innen zu kontaktieren, um diesen „Druck“ zu machen. Sicherheitsbehörden bezeichnen das Umfeld, in dem er mobilisierte, als verfassungsfeindlich. Im Bundestag droht Huber zudem Ärger, weil er Gespräche mit Mitarbeitern anderer Abgeordneter filmen ließ.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Johannes Huber war über Monate hinweg in der Telegram-Gruppe des Verschwörungsideologen Attila Hildmann aktiv, die Sicherheitsbehörden für verfassungsfeindlich halten. In diesem Umfeld rief er wiederholt dazu auf, politische Gegner:innen zu kontaktieren, um „Druck“ auszuüben, wie er schrieb. Das zeigen Recherchen von netzpolitik.org. Nun versucht offenbar jemand, Hubers Spuren dort zu verwischen. Der Ältestenrat befasst sich zudem mit einem zweiten Vorgang, in den der Politiker ebenfalls verwickelt ist: Es besteht der Verdacht, dass er Mitarbeiter anderer Fraktionen ohne deren Einverständnis filmen ließ.

„Liebe Mitstreiter“, lautet die Ansprache, als ein Nutzer Ende Oktober eine Datei mit dem Namen „Brandbrief an die Regierungsfraktionen.docx“ in Hildmanns Telegram-Gruppe „Freiheits-Chat“ postet. Die Datei enthält ein Musterschreiben, in dem die Aufhebung der „Epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ gefordert wird. Behauptet wird unter anderem, das Coronavirus stelle keine Gefahr für das Gesundheitssystem dar, und das, obwohl Mediziner:innen am selben Tag vor Engpässen auf deutschen Intensivstationen warnen.

Der „Brandbrief“ ist ein Word-Dokument – damit jeder auch seine eigenen Ideen einarbeiten könne, so der Verfasser der Nachricht. Er hat eine Liste mit E-Mail-Adressen von Bundestagsabgeordneten verlinkt. „Haut rein“, schreibt er, „VG Johannes“.

„Huber Johannes MdB-Intern“

Metadaten des Word-Dokuments, das in Hildmanns Telegram-Gruppe erschien
Metadaten des Word-Dokuments, das in Hildmanns Telegram-Gruppe erschien (Bild: Screenshot netzpolitik.org)

Metadaten zufolge stammt diese Datei geradewegs aus dem Büro des Bundestagsabgeordneten Johannes Huber. Der Name seines persönlichen Referenten ist als Ersteller gelistet, ein Computerbenutzer mit der Kennung „Huber Johannes MdB-Intern“ soll das Word-Dokument bearbeitet haben. Auch das Telegram-Konto, von dem die Chatnachricht stammt, hat den Benutzernamen Johannes Huber, das Profilbild zeigt den Politiker.

Das Telegram-Profil des Nutzers mit der ID 4660155666
Das Telegram-Profil des Nutzers mit der ID 4660155666(Bild: Screenshot netzpolitik.org)

Es ist technisch möglich, solche Angaben zu fälschen. Um sicherzugehen, dass es sich um den Bundestagsabgeordneten handelt, rufen wir das Telegram-Konto über die Telefon-Funktion der App an. Wir erkennen ihn gleich an der Stimme und der oberbayerischen Dialektfärbung. Er nimmt persönlich ab.

Aber Johannes Huber sagt: „Ich bin kein Mitglied dieser Gruppe.“

Auf Telegram hat jeder Nutzer einen Namen, den er beliebig oft ändern kann, zugleich aber auch eine Identifikationsnummer (ID), die einmal vergeben wird und dann immer gleich bleibt. Anhand dieser lässt sich in Chatprotokollen eindeutig nachvollziehen, welcher Nutzer welche Nachricht verfasst hat. Die ID des Telegram-Kontos, über das wir mit dem AfD-Politiker telefonieren, lautet 4660155666. Seit mehr als einem halben Jahr erscheinen immer wieder dieser ID zuordenbare Chatnachrichten in der Telegram-Gruppe von Hildmann.

Metadaten einer Chatnachricht in Hildmanns Telegram-Gruppe
Metadaten einer Chatnachricht in Hildmanns Telegram-Gruppe (Bild: Screenshot netzpolitik.org)

Aber Johannes Huber sagt: „Das kann ich nicht bestätigen.“

Immerhin: Der AfD-Politiker streitet das auch nicht ab. Und er will sich lieber schriftlich zu dem Thema äußern. Am Mittwochabend erhalten wir von ihm eine E-Mail, abgeschickt von seiner Bundestagsadresse. Der Absender heißt „Huber Johannes MdB-Intern“, genau wie schon der Bearbeiter des Word-Dokuments mit dem „Brandbrief“. Auf Telegram hat er uns zu diesem Zeitpunkt bereits blockiert. Unsere sechs Fragen zu Attila Hildmann und dessen Telegram-Gruppe würdigt er mit einem Satz.

Aber Johannes Huber schreibt: „In dieser Telegram-Gruppe bin ich kein Mitglied.“

Eine Auswertung der Chatprotokolle ergibt, dass der Nutzer mit der ID 4660155666 in der Vergangenheit viermal Hildmanns Telegram-Gruppe beigetreten ist, sie also wohl mindestens dreimal bereits verlassen hatte und dann doch zurückkehrte. Möglich also, dass der Bundestagsabgeordnete kürzlich zum vierten Mal ausgetreten ist.

Die letzte Chatnachricht ist von Mitte November

Nach Recherchen von netzpolitik.org war Huber dort aber vergangene Woche noch aktiv, als er im Vorfeld der Abstimmung über das dritte Be­völ­ke­rungs­schutz­gesetz den Link zu einer Video-Botschaft auf seiner Facebook-Seite teilte. „Kurzer Zwischenbericht nach den heutigen Ausschüssen“, schrieb Huber dazu in Hildmanns Telegram-Gruppe.

Hubers bislang letzte Chatnachricht in Hildmanns Telegram-Gruppe
Hubers bislang letzte Chatnachricht in Hildmanns Telegram-Gruppe (Bild: Screenshot netzpolitik.org)

Andere Spuren, die er dort hinterlassen hat, wurden gelöscht – vielleicht durch einen Moderator oder durch Huber selbst. Die Nachricht mit dem „Brandbrief“ war bereits Stunden nach ihrem Erscheinen entfernt. Am Tag nach unserer Anfrage an den Bundestagsabgeordneten verschwindet auch eine Nachricht, die er am 8. November in die Telegram-Gruppe gepostet hat.

Damals bat er Hildmanns Gefolgschaft, „als höchst besorgter Bürger“ in den Büros von Bundestagsabgeordneten anzurufen. Die Gruppen-Mitglieder sollten diese auffordern, nicht für das dritte Bevölkerungsschutzgesetz zu stimmen – und zwar, wie Huber schrieb, in „freundlich-sachlichem Ton“.

Doch die Telegram-Gruppe von Attila Hildmann ist kein Ort, der für seinen freundlich-sachlichen Tonfall bekannt ist. Im Gegenteil.

Mobilisierung unter Verfassungsfeind:innen

Hildmann (rechts) bei einer Kundgebung im Oktober
Hildmann (rechts) bei einer Kundgebung im Oktober (Bild: Daniel Laufer)

Der Verfassungsschutz in Brandenburg, wo der Koch lebt, schreibt uns, Hildmann sei „als Rechtsextremist bekannt“. Die Staatsanwaltschaft Berlin teilt mit, sie ermittle gegen ihn unter anderem wegen des Verdachts der Beleidigung, der Volksverhetzung und der Bedrohung.

Wer seine Telegram-Gruppe näher anschaut, bekommt leicht den Eindruck, dass der Gründer den Ton angibt. „Die Telegram-Gruppe ‚Freiheits-Chat‘ ist aufgrund der reichsbürgertypischen, rechtsextremistischen und antisemitischen Inhalte, die dort verbreitet werden, als verfassungsfeindlich zu bewerten“, teilt uns ein Sprecher der Berliner Innenverwaltung unter Berufung auf den Berliner Verfassungsschutz mit. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt mit Bezug auf entsprechende Chats: „Grund zur Sorge besteht immer dann, wenn gewaltbefürwortende Einträge veröffentlicht werden.“

Es ist dieses Umfeld, in dem der AfD-Politiker Johannes Huber dazu aufgerufen hat, politische Gegner:innen zu kontaktieren – nicht nur andere Bundestagsabgeordnete, sondern in einer Nachricht aus dem Juni auch Bürgermeister:innen und Landrät:innen.

In einem anderen Beitrag versuchte sich Huber an einem Wortspiel und schlug vor, „Söder in den Lockdown“ zu befördern, dazu zeigte er Bayerns Ministerpräsident hinter Gitterstäben. Zweimal warb er in Hildmanns Telegramm-Gruppe für eine Petition auf der Website des Bundestags. Auf einer Grafik dazu prangte das Logo der AfD-Fraktion. Huber schrieb: „Bitte nochmal alle mobilisieren und mitzeichnen!“

Anrufe und Massenmails

Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, ist eine der Bundestagsabgeordneten, die zur Abstimmung um das dritte Bevölkerungsschutzgesetz Anrufe erhalten haben. Zum Teil hätten diese von Enttäuschung und Unsicherheit gezeugt, sagt sie netzpolitik.org. „Ich hatte aber auch viele Anrufer:innen, die von einem ‚Ermächtigungsgesetz‘ oder einem ‚Impfzwang‘ sprachen. Die waren absolut desinformiert.“

Ein Zusammenhang mit Hubers Telegram-Posts ist nicht belegbar. Verschwörungserzählungen um ein „Ermächtigungsgesetz“ oder einen „Impfzwang“ wurden aber auch in Hildmanns Telegram-Gruppe verbreitet.

Dass der AfD-Politiker Johannes Huber ausgerechnet dort nach Mitstreiter:innen gesucht hat, bezeichnet Haßelmann als ungeheuerlich. „Wenn es so sein sollte, kennt ein Bundestagsabgeordneter offenbar keine Grenze, was die Agitation Dritter für seine eigenen Ziele angeht.“

Mehr als 30.000 E-Mails sind Haßelmann zufolge bei der Grünen-Fraktion eingegangen. Abgeordnete von CDU/CSU, SPD und FDP bekundeten laut der Süddeutschen Zeitung ähnliches. Auch die Linken-Fraktion, die wie FDP und AfD gegen das Gesetz gestimmt hatte, erhielt nach eigenen Angaben vor der Abstimmung rund 250 bis 300 E-Mails pro Tag.

„Es ist auch absolut berechtigt, wenn Leute mit Abgeordneten Kontakt aufnehmen, um ihnen ihre Sicht der Dinge mitzuteilen, solange der Umgangston OK ist“, teilt der parlamentarische Geschäftsführer der Linken Jan Korte uns mit. Aber auch bei seiner Fraktion gingen offenbar fragwürdige E-Mails ein. „Massenmails ohne Anrede, Mails von Rechtsextremen oder im aktuellen Fall von Relativierer:innen, die von einem ‚Ermächtigungsgesetz‘ geschrieben haben, haben wir gelöscht, alle anderen beantwortet.“

Die AfD, Johannes Hubers eigene Fraktion, wollte sich auf Anfrage nicht näher zu den Aufrufen in Hildmanns Telegram-Gruppe äußern. „Die Fraktionsvorsitzenden sind derzeit im Gespräch mit dem Abgeordneten Huber, um die Geschehnisse vom vergangenen Mittwoch aufzuarbeiten und sich ein umfassendes Bild zu machen“, teilt ein Mitarbeiter des Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland mit.

Die Aussage bezieht sich auf einen Vorfall im Bundestag am Tag der Abstimmung. Neben Gästen der AfD, die Bundestagswirtschaftsminister Peter Altmaier und andere Abgeordnete bedrängt hatten, erregte auch eine Aktion von Johannes Huber Aufmerksamkeit. Wie bei den Nachrichten in Hildmanns Telegram-Gruppe war auch in diesem Fall offenbar versucht worden, Beweismaterial zu vernichten.

Ein Video verschwindet

Am Morgen vor der Abstimmung taucht Huber vor mehreren Büros im Bundestag auf – in Begleitung einer noch unbekannten zweiten Person, die ihn dabei filmt. Einen Zusammenschnitt davon wird er später auf seiner Facebook-Seite veröffentlichen, das Video aber bald wieder aus dem Netz nehmen, wie zuerst die SPIEGEL-Journalistin Ann-Katrin Müller berichtet.

Müller hat das Video gesichert, die Aufnahmen liegen netzpolitik.org vor. Sie zeigen Huber vor den Räumen anderer Abgeordneter und Fraktionen. „Das ist eine Kiste von Bürgern“, sagt er und tut so, als wolle er einem Mitarbeiter des SPD-Politikers Karl Lauterbach einen Karton überreichen. Hubers eigener Darstellung nach handelt es sich dabei um rund 225.000 Unterschriften, die ein „Querdenken“-Ableger aus Dresden gesammelt hat.

Auf Anfrage gibt der AfD-Politiker an, eine fraktionsübergreifende Übergabe dieser Petition sei in der Obleuterunde des Petitionsausschusses diskutiert worden. Tatsächlich hält Huber eine entsprechende Position in jenem Ausschuss. Kartons mit Unterschriften vor die Büros einzelner Abgeordneter zu tragen und sich dabei filmen zu lassen, gehört traditionell eher nicht zu den damit verbundenen Aufgaben.

Per E-Mail erkundigen wir uns bei Huber, warum er das Video gelöscht hat. Er ignoriert unsere Frage, als hätte er sie überlesen.

Aufnahmen ohne Einverständnis

In seinem Facebook-Beitrag behauptete Huber, er habe versucht, Bundeskanzlerin Angela Merkel Unterschriften zu bringen. Deren Büro im Bundestag teilt mit, man habe davon nichts mitbekommen.

Die Aufnahmen dokumentieren aber mehrere Gespräche, die Huber mit Mitarbeitern von Abgeordneten führt. Ihre Gesichter sind nie zu sehen, sie sind aber zu hören. Wir haben mit dem Mitarbeiter von Karl Lauterbach gesprochen, mit dem Huber in dem Video redet. „Ich kann mich nicht erinnern, dass so etwas in all der Zeit schon einmal passiert ist“, sagt er. „Ich wurde nicht darauf hingewiesen, dass gefilmt wurde, und es wurde nicht um Erlaubnis gefragt, mich aufzunehmen.“ Dass Huber und sein Begleiter Aufnahmen anfertigten, habe er vermutet.

Huber hat das Video gelöscht, das ihn vor den Büros von Abgeordneten anderer Fraktionen zeigt.
Huber hat das Video gelöscht, das ihn vor den Büros von Abgeordneten anderer Fraktionen zeigt. (Bild: Screenshot Ann-Katrin Müller/SPIEGEL)

Im Video ist auch zu sehen, wie Huber vor den Büros der Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU/CSU auftaucht. Wieder spricht er mit Mitarbeitern der Abgeordneten, wieder ist der Blickwinkel der Kamera so gewählt, dass nicht klar ist, ob seine Gesprächspartner wissen, dass gefilmt wird.

Kann es sein, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Aufnahmen von Mitarbeitern anderer Fraktionen ohne deren Einverständnis angefertigt hat? Wir stellen ihm auch diese Frage schriftlich. Er lässt sie in seiner Antwort-E-Mail aus.

Ältestenrat befasst sich mit dem Fall Johannes Huber

Britta Haßelmann von den Grünen wirft Huber vor, seine Konfrontationsversuche vor laufender Kamera hätten darauf abgezielt, Abgeordnete kurz vor einer wichtigen Abstimmung einzuschüchtern. „Diesen Antiparlamentarismus und die Verächtlichmachung der demokratischen Institutionen praktiziert die AfD schon seit ihrem Einzug in den Bundestag. Was jetzt letzte Woche passiert ist, war aber ein absoluter Tabubruch.“

Angesprochen wurde der Vorgang schon am vergangenen Freitag im Plenum. „Der AfD-Abgeordnete Huber soll mehrfach versucht haben, ohne Erlaubnis in fremde Büros mit Kamera und anderen Personen zu gelangen“, sagte Michael Grosse-Brömer von der CDU am Rednerpult.

Huber saß dabei kopfschüttelnd auf seinem Platz. Über den Pfaffenhofener Kurier in seinem Wahlkreis ließ er seither ausrichten, er widerspreche Grosse-Brömers Darstellung und habe einen Anwalt eingeschaltet, um angebliche rechtliche Ansprüche geltend zu machen.

Wie netzpolitik.org wollte er aber auch der Lokalzeitung nicht verraten, wer die zweite Person ist, die für ihn im Bundestag gefilmt hat. Der AfD-Politiker sprach demnach ominös von einem „schwebenden Verfahren“.

Vielleicht meint Huber damit den Ältestenrat, der sich nach Informationen von netzpolitik.org mit seinem Facebook-Video befasst hat. Als das Gremium vergangene Woche zusammenkam, waren jedoch kaum Details darüber bekannt. Erst im Laufe der Sitzung soll klargeworden sein, wer die Aufnahmen zu verantworten hatte. An diesem Donnerstag wird der Ältestenrat wohl erneut über den Fall sprechen.


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