"Wertekonferenz" in Berlin: Die radikalen Gäste der AfD im Bundestag

Mehrere Personen mit offenbar rechtsradikalen Tendenzen nahmen Anfang April an einem Netzwerktreffen des AfD-Politikers Christian Wirth teil. Sie tagten in den Räumen des deutschen Parlaments. Das zeigen Recherchen der Badischen Zeitung.

Der Sitzungssaal E 600 im Paul-Löbe-Haus ist einer der größten des Deutschen Bundestags. Anhörungen zu Gesetzesentwürfen finden in ihm statt, parlamentarische Ausschüsse tagen hier. Anfang April aber kommen in dem kreisrunden Raum Rechtspopulisten aus zehn europäischen Ländern zusammen, auf Einladung eines Mitglieds der AfD-Fraktion. Der saarländische Abgeordnete Christian Wirth veranstaltet im Bundestag die dreitägige "Wertekonferenz". 60 bis 70 Personen hätten teilgenommen, sagt Wirth: "Wir wollten herausarbeiten, was die Vertreter dieser Länder sich unter europäischen Werten vorstellen." Dieser Frage habe man sich auf einem "wissenschaftlich-intellektuellen Niveau" nähern wollen.

Dazu habe er Gäste eingeladen, mit denen bereits zuvor ein Kontakt bestand, sagt Wirth. Die Teilnehmer seien ausgewählt worden, weil ihre Überzeugungen zu denen der AfD passten, mutmaßt einer von ihnen – Oliver Hugaas von der ultrakonservativen norwegischen Unabhängigkeitspartei.

Sympathien für Nationalsozialisten, einen mutmaßlichen Judenmörder und die lettische Waffen-SS

Die Anwesenden eint der Wunsch nach einem sogenannten "Europa der Vaterländer". Eine Reihe von Personen, die der AfD-Abgeordnete in den Bundestag geholt hat, hat offenbar rechtsradikale Tendenzen. Etwa Gregory Lauder-Frost, der den britischen Ableger von Arktos führt, einen der einflussreichsten Verlage der Neuen Rechten. "Bis vor kurzem konnte nur deutscher Staatsbürger werden, wer deutsches Blut hatte", behauptete er in Berlin – laut einer Mitschrift seiner Rede. Lauder-Frost ist Gründer der Partei Traditional Britain Group. Nach einem Bericht der britischen Zeitung Independent sympathisiert er mit den Nationalsozialisten. In der Vergangenheit habe er gefordert, Deutschland in den Grenzen von vor dem Zweiten Weltkrieg wiederherzustellen. Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse habe er als Farce bezeichnet.

"Bis vor kurzem konnte nur deutscher Staatsbürger werden, wer deutsches Blut hatte."

Gregory Lauder-Frost

Auch der litauische Präsidentschaftskandidat Arvydas Juozaitis ist nach Berlin gekommen. Erst kürzlich ließ er sich dabei filmen, wie er in Vilnius Blumen an einer Gedenkstätte für Jonas Noreika ablegte. Wegen seines Widerstands gegen die Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs wird jener in Litauen mitunter wie ein Nationalheld verehrt. Tatsächlich soll er damals als Befehlshaber an der Ermordung Tausender Juden beteiligt gewesen sein.

Fotos belegen, dass die Konferenzteilnehmer der lettischen Nationalen Allianz in ihrer Heimat mit Parteigenossen an Gedenkmärschen für gefallene Soldaten teilgenommen haben, die einst als Teil der Waffen-SS an der Seite der Nazis gekämpft hatten. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarates hat vor solchen Aufmärschen gewarnt. "Jeder Versuch, den Kampf für die Waffen-SS und die Zusammenarbeit mit den Nazis zu rechtfertigen, läuft Gefahr, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz zu fördern", heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 2012.

Fototermin mit Gauland und Weidel

Wer Christian Wirth von der AfD nach diesen Tätigkeiten seiner Gäste fragt, bekommt immer wieder den gleichen Satz zu hören: "Dazu kann ich nichts sagen." Mit Antisemitismus habe er nichts zu tun, bei der Konferenz habe sich auch keiner der Teilnehmer entsprechend geäußert. "Die europäischen Werte lassen sich auf christlich-jüdische Traditionen zurückführen."

Wirth hat auch einen ehemaligen österreichischen Nationalrat eingeladen, der sich nach Antisemitismus-Vorwürfen in seiner Heimat nicht mehr zur Wahl aufstellen ließ. Einen britischen Politiker, der in der Vergangenheit die Todesstrafe wieder einführen wollte. Einen estnischen Ex-Diplomaten der zukünftigen Regierungspartei EKRE, die der Baltikum-Experte David Feest vom Nordost-Institut der Universität Hamburg als offen rechtsradikal bezeichnet.

Sie alle bekommen vom 1. bis zum 3. April dieses Jahres tiefe Einblicke in die Welt des Berliner Politikbetriebs. Am Abend sitzen sie zusammen bei Wein und Kaffee im exklusiven Abgeordneten-Klub der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. Durch den Reichstag können sie sich mit ihren Gastausweisen in Begleitung bewegen.

Kommentarlos lädt ein litauischer Ethnologe, auch einer der Konferenzgäste, das Bild einer Metallbox mit dem Namen Adolf Hitlers bei Facebook hoch. Sie ist Teil des Archivs der Deutschen Abgeordneten, einer Kunstinstallation. Mehrere Teilnehmer, darunter Lauder-Frost und Juozaitis, treffen den Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland zum Fototermin, eine Politikerin aus der Slowakei lässt sich mit Parteichefin Alice Weidel ablichten.

Eine "mandatsbezogene Veranstaltung"?

In der Hausordnung des Parlaments heißt es: "Die Gebäude des Deutschen Bundestages dienen der parlamentarischen Arbeit." Einer Zusammenkunft von Rechtspopulisten aus ganz Europa scheint dies nicht im Wege zu stehen – sofern es sich dabei um eine "mandatsbezogene Veranstaltung" handele, so ein Sprecher des Bundestags.

Christian Wirth sagt, sein Büro habe zwar die Säle gebucht, im weitesten Sinne sei die "Wertekonferenz" aber eine Veranstaltung der AfD-Fraktion gewesen. Rund zehn Vertreter der Partei hätten Reden gehalten. Für Reise und Unterkunft hätten die Besucher selbst bezahlt.

Vor der Europawahl im Mai haben die rechten Parteien ihre Zusammenarbeit intensiviert. Im Europäischen Parlament in Straßburg und Brüssel sollen sie bald ihre eigene Fraktion bekommen. Eine treibende Kraft neben der AfD ist die italienische Lega Nord um Innenminister Matteo Salvini. Jüngst kündigten sie einen gemeinsamen Wahlkampf an. An dem Projekt mit dem Namen "Common Sense Europe" sind vier Parteien beteiligt, die auch bei der "Wertekonferenz" in Berlin vertreten waren. Wirth sagt, es gebe hiermit aber keinen Zusammenhang.

Ein Fahrplan, um gemeinsame Ziele zu erreichen

Für die Rechtspopulisten fungierte die "Wertekonferenz" auch als Netzwerktreffen. "Ich habe mehrere Menschen kennengelernt, deren lebenslange Freundschaft ich schätzen würde", sagt der Norweger Oliver Hugaas. Seine Unabhängigkeitspartei will ihre Jugendorganisation zu einem Besuch nach Serbien schicken, die serbische Freiheitsbewegung wurde wiederum einem Facebook-Beitrag zufolge zur Jahreskonferenz der British Traditional Group nach London eingeladen.

Christian Wirth nennt seine Konferenz einen "großen Schritt in die Richtung internationale Zusammenarbeit patriotischer Kräfte in Europa". Er kündigt an, sie im kommenden Jahr in noch größerer Form zu wiederholen. Bis Mitte Mai wollen die Teilnehmer eine gemeinsame Erklärung veröffentlichen. Hugaas spricht von einer Art Fahrplan, der bei der "Wertekonferenz" im Bundestag ausgearbeitet worden sei. "Er soll aufzeigen, wie wir zusammenarbeiten können, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen."

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