Interessenkonflikt: Vom Gesundheitsministerium zur Telekom
Als die Corona-Warn-App (CWA) im Juni 2020 an den Start ging, meldete sich Gottfried Ludewig per Twitter zu Wort. Er berichtete von „intensivsten Wochen, Tagen und Nächten“ und bedankte sich für das „super Teamwork“ – unter anderem zwischen der Bundesregierung und der Industrie. Deutschland hatte die erste Pandemie-Welle hinter sich und die CWA galt als Hoffnungsträgerin zur Kontaktnachverfolgung. Mit der Umsetzung hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) den Softwarekonzern SAP und die Telekom-Tochter T-Systems beauftragt, schon die Entwicklung soll insgesamt rund 20 Millionen Euro gekostet haben.
Ludewig begleitete die Entwicklung der CWA von Anfang an. 2018 holte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn seinen Parteikollegen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, wo Ludewig stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion gewesen war, um ihn im Gesundheitsministerium zum Abteilungsleiter für Digitalisierung und Innovation zu machen.
Vertragsverlängerung für die Corona-App erst kürzlich
Demnächst hat Ludewig offenbar einen neuen Arbeitgeber. Nach Informationen des ARD-Politikmagazins Kontraste soll er zu einer Tochterfirma der Telekom wechseln. Zuerst hatte hierüber kurz vor Weihnachten das Fachportal „Apotheke Adhoc“ berichtet. Auf Kontraste-Anfrage teilte das BMG mit, es nehme grundsätzlich keine Stellung zu persönlichen Erwägungen oder Überlegungen seiner Beschäftigten. Die Telekom sprach von einem Gerücht und wollte sich nicht dazu äußern. Ludewig selbst war für eine Antwort nicht zu erreichen.
Käme es zu einem solchen Wechsel, wäre Ludewig künftig für denselben Konzern tätig, mit dem das Gesundheitsministerium eine laufende Geschäftsbeziehung pflegt. Erst im Herbst verlängerte das dem BMG unterstellte Robert Koch-Institut (RKI) seinen Vertrag mit der Telekom für den Betrieb der CWA bis Ende 2022. Zu den Zahlungen an die Telekom in Höhe von mehr als 40 Millionen Euro, von denen die Bundesregierung für den Betrieb bis Ende 2021 ausgegangen war, kommen durch die Verlängerung laut Bekanntmachung im Amtsblatt der EU für 2022 wohl weitere 16,8 Millionen Euro netto hinzu.
Dass Ludewig als für die CWA mitverantwortlicher Abteilungsleiter nun wohl zur Telekom wechseln soll, bezeichnet die Linken-Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg als hoch problematisch. „Es gibt Interessenkonflikte, weil er für die Regierung Entscheidungen getroffen hat, die einen positiven Einfluss auf die Geschäfte der Telekom haben“, so Domscheit-Berg. „Es verbietet sich moralisch, bei einer solchen Firma danach einen Job anzunehmen.“ Dies dennoch zu tun, sei schamlos. Auch der Verein LobbyControl sieht in einem möglichen Wechsel einen Interessenkonflikt.
Impfzertifikat-Überprüfung als neues Geschäftsmodell
Brisant würde den Wechsel auch eine Funktion machen, die seit Kurzem in der CWA verbaut ist und der Telekom künftig weitere Einnahmen bescheren könnte: Eine technische Schnittstelle soll es beispielsweise Fluggesellschaften ermöglichen, künftig bereits bei der Buchung den Impfstatus ihrer Kunden zu überprüfen. Geschehen soll dies mithilfe sogenannter Validierungsdienste, betrieben von privaten Unternehmen, die hierfür zunächst eine Prüfung durch das Gesundheitsministerium durchlaufen müssen.
In Betrieb ist die neue Funktion noch nicht, auf seiner Website zur CWA nennt das RKI trotzdem bereits die Telekom als erstes Unternehmen, das einen solchen Dienst zur Verfügung stelle. Bislang ist kein einziger solcher Dienst durch das Ministerium zugelassen – also auch nicht das Angebot der Telekom. Zudem ist eine Beratung zur neuen Funktion durch den Bundesdatenschutzbeauftragten noch nicht abgeschlossen.
Telekom hat Vorsprung gegenüber Mitbewerbern
Auf der RKI-Website heißt es, das neue Modell sei „bewusst marktoffen gestaltet“. Auf Nachfrage, warum ausgerechnet die Telekom als erste einen Validierungsdienst anbiete, verwies das RKI an das Gesundheitsministerium. Auch dort wollte man den Schnellstart der Telekom nicht erklären. Offenbar ist sie der bislang einzige deutsche Bewerber für den Betrieb eines Validierungsdienstes, ein zweites Unternehmen bereitet einen Antrag laut Gesundheitsministerium erst noch vor.
Gegenüber möglichen Konkurrenten, die ebenfalls einen solchen Validierungsdienst betreiben könnten, erlangte die Telekom somit offenkundig einen Vorsprung: Als Mitentwicklerin der CWA musste sie frühzeitig von den Plänen für die neue Funktion gewusst haben, sie war auch an der Entwicklung der Schnittstelle beteiligt.
Ob sein für Digitalisierung und Innovation zuständiger Abteilungsleiter Ludewig in die Entwicklung der neuen Funktion für Validierungsdienste eingebunden war, ließ das Gesundheitsministerium auf Anfrage offen. Seit dem 1. Dezember ist er in Elternzeit. Einen Tag später kündigte die Telekom den Validierungsdienst per Pressemitteilung an – noch vor der Bundesregierung. Sie pries ihn als „B2B-Lösung“ an – also als offenbar kommerzielles Angebot, das sich an Unternehmen richtet, die Tickets verkaufen. Der Konzern könnte etwa Fluggesellschaften Impfstatus-Überprüfungen, die mithilfe der CWA erfolgten, in Rechnung stellen.