Intransparenz: Die fragwürdigen Spenden-Tricks der Anti-Corona-Bewegung
Auf ihren Demonstrationen reden die Gegner:innen der Corona-Maßnahmen von Liebe, Grundrechten und der angeblich diktatorischen Regierung, die sie bekämpfen wollen. Auf der „Querdenken“-Bühne in Berlin am 29. August geht es außerdem um etwas anderes. Ein Mann im Anzug tritt ans Mikrofon und fordert ein sogenanntes Großgebertreffen. „Liebe Vermögende in Deutschland und Europa“, ruft Raiko Schott, „steht auf!“
Der Unternehmer meint damit auch sich selbst. Er kündigt an, 75.000 Euro zu spenden, zu gleichen Teilen an drei Organisationen, allesamt tief verwurzelt in der sogenannten Anti-Corona-Bewegung. Sie hat an jenem Wochenende Zehntausende gegen die Bundesregierung in die Hauptstadt gebracht, unter ihnen auch Tausende Rechtsextremist:innen. Viele von ihnen nehmen an einer Kundgebung an der Siegessäule teil, einige durchbrechen eine Absperrung vor dem Reichstagsgebäude und dringen bis zu dessen Treppe vor.
Schott hat mit diesem Vorfall nichts zu tun. Dieser Redaktion sagt er später, einige Entwicklungen in Deutschland hätten ihn verunsichert. Da habe er mit der Großspende ein Zeichen setzen wollen, nach seinen eigenen Angaben mit Erfolg. Diejenigen, die er mit seinem Aufruf habe erreichen wollen, hätten sich seither bei ihm gemeldet. „Das sind nette Gespräche, die man da führt, und dann entscheidet man gemeinsam, ob man Projekte unterstützt.“
Mauer des Schweigens zu undurchsichtigen Spendenaufrufen
Im Umfeld der Corona-Leugner:innen sammelt eine Vielzahl von Organisationen Spendengelder ein. Dabei geht es um viel Geld: Alleine der Querdenken-Erfinder Michael Ballweg soll im Frühjahr innerhalb weniger Tage 225.000 Euro eingesammelt haben. Wie viel Geld durch seinen Aktivismus bei ihm insgesamt eingegangen ist, dazu äußerte sich Ballweg auf Anfrage nicht.
Häufig bleibt es ein Geheimnis, wie und wofür das Geld verwendet wird, wie viel Geld wirklich schon überwiesen wurde und wer das Geld verwaltet. Womöglich, weil es wirklich etwas zu verbergen gibt, wie Recherchen von netzpolitik.org nahelegen.
In den vergangenen Tagen haben wir mehrere Initiativen nach ihrem Spendenaufkommen gefragt. Keine einzige wollte darüber Auskunft geben. Wir sind zudem auf Spendenkonten gestoßen, bei denen verschwiegen wird, wo das Geld wirklich landet. Eine Spur, die wir verfolgt haben, führte zu einer mutmaßlichen Briefkastenfirma im europäischen Ausland, die Millionenbeträge für „die größte Klage in der deutschen Geschichte“ sammeln möchte.
Bei einer weiteren Organisation, Klagepaten – einem nicht eingetragenen Verein, der sich durch Spenden finanziert und eine wichtige Rolle in der Anti-Corona-Bewegung einnimmt – werden Gelder aus der Vereinskasse für angebliche Dienstleistungen an die Firma des Vereinsgründers überwiesen. Ein Name zieht sich durch diese Geschichte: Ralf Ludwig.
Als die Berliner Versammlungsbehörde die „Querdenken“-Demo Ende August zunächst verbietet, zieht der Leipziger Rechtsanwalt per Eilantrag vors Verwaltungsgericht. Seine erfolgreiche Klage ermöglicht die Großdemo doch noch. Spätestens seitdem wird Ludwig von vielen Anhänger:innen geradezu verehrt. Bei der Veranstaltung selbst erhält Klagepaten dann eine hohe Spendensumme. 50.000 Euro werden der Organisation alleine bei der Scheckübergabe auf der Bühne zugesagt, die Hälfte dieses Betrags kommt vom Unternehmer Raiko Schott.
Das Virus ist sein Thema
Der Anwalt Ludwig hat Klagepaten mitgegründet, er ist einer der Stars der Szene. Seit der 48-Jährige, der bei Demos gerne mal mit einem roten Halstuch auftritt, im Frühjahr wegen der Reisebeschränkungen seine Tochter nicht auf Mallorca besuchen konnte, ist das Virus sein Thema.
Mit „Widerstand 2020“ rief er zunächst eine politische Partei ins Leben, die nach 54 Tagen allerdings wieder aufgelöst wurde. In Videos auf Facebook und YouTube gibt er nun vor allem den Kämpfer vermeintlich Entrechteter. Während der Pandemie fallen hierunter offenbar schon Menschen, die lieber keine Schutzmaske tragen möchten.
Ludwigs Mittel ist der Rechtsweg und der Rechtsweg ist auch ein Geschäftsmodell. 2015 wird er Gesellschafter einer Firma: Juniko. Mit Klagepaten hat sie nach allem, was bekannt ist, höchstens indirekt zu tun. Bei Juniko sammelt Ludwig aber Erfahrung mit der massenhaften Bearbeitung von Fällen, bei denen die Firma für Eltern Anträge auf Kitaplätze stellt und diese gegebenenfalls auch einklagen lässt. Eine Kanzlei, die in Leipzig an derselben Adresse wie Juniko sitzt und für die Ludwig auch tätig ist, hat nach seinen Angaben mindestens 6.000 derartige Verfahren bearbeitet.
Möglich ist diese große Zahl von Fällen wohl nur, weil Kommunikation und Abläufe weitgehend standardisiert sind. Es ist ein Ansatz zur Aufnahme von Verfahren, den auch Klagepaten später übernehmen wird.
Tausende Demo-Anmeldungen per Fertigformular
Klagepaten ist eine Art Rechtshilfeorganisation der Anti-Corona-Bewegung. Im Kern beruht sie offenbar auf folgender Idee: Viele Menschen haben die gleichen Anliegen. Zur Zeit wollen sie zum Beispiel unbehelligt Urlaub in Risikogebieten machen können oder verhindern, dass ihre Kinder an Schulen auf das Coronavirus getestet werden. Für solche Fälle stellt Klagepaten auf seiner Website Infomaterial zur Verfügung.
Wegen des zeitweiligen Verbots der „Querdenken“-Demo rufen Ludwig und seine Mitstreiter:innen dazu auf, über ein Formular auf der Klagepaten-Website eigene Demonstrationen anzumelden. Angaben auf der Website zufolge sind auf diesem Weg mehr als 6.500 Anmeldungen für Ersatzdemos zusammengekommen, mit wenigen Klicks direkt im Internetbrowser.
Formular für Strafanzeigen auf der Website von Klagepaten (Bild: Screenshot netzpolitik.org)
Nachdem Demonstrant:innen in Berlin mit der Polizei aneinander geraten sind, bietet Klagepaten ein weiteres Formular an, mit dem Betroffene Strafanzeigen gegen Beamt:innen stellen können. Verteilt werden entsprechende Links in einschlägigen Kanälen auf der Messenger-Plattform Telegram, offenbar mit Erfolg: Wie ein Sprecher der Berliner Polizei vergangene Woche mitteilt, seien im Zusammenhang mit dem Demo-Wochenende insgesamt 92 Anzeigen gegen Polizist:innen eingegangen, die sich teilweise überschneiden.
Mag sein, dass dadurch berechtigte Anliegen von Betroffenen verfolgt werden. Allerdings liegt zumindest auch der Schluss nahe, dass durch solche massenhaften Vorgänge politischer Druck aufgebaut werden könnte. Die ausgewählten Themen erinnern an Kampagnen.
Blick ins Kleingedruckte
Nutzer:innen sollen auf der Webseite ihren Namen und Kontaktdaten in den Formularen angeben, ihr juristisches Problem benennen und gleich dazu schreiben, ob sie rechtsschutzversichert sind. Klagepaten schaut über diese Anliegen und vermittelt gegebenenfalls Anwält:innen.
Ralf Ludwig zufolge fließt ein wesentlicher Teil der Spenden an Klagepaten in das Erstellen von digitalen Formularen. „Das kostet natürlich alles Geld“, sagt er in einem Livestream auf Facebook.
Erst ein Blick ins Kleingedruckte der Datenschutzerklärung liefert einen Hinweis darauf, wer zumindest einen Teil dieses Geldes bekommt. Denn für einige Dienstleistungen bezahlt der gemeinnützige Verein Klagepaten eine Firma mit Sitz im Salzlandkreis. Sie hat keine Webseite, es ist kaum etwas über sie bekannt. Doch unsere Recherchen zeigen: Größter Anteilseigner an jener Firma ist Klagepaten-Gründer Ludwig selbst.
Klagepaten schließt Vertrag mit Ludwigs Firma ab
Den Verein Klagepaten hat Ludwig schon 2016 ins Leben gerufen, gemeinsam mit seinen Partner:innen bei Juniko. Mittlerweile sind die bei der GmbH ausgestiegen, heute gehört sie Ludwig alleine. Es habe Meinungsverschiedenheiten zur Ausrichtung der Firma gegeben, schreibt uns ein ehemaliger Juniko-Gesellschafter.
Im Dezember 2019, während das Coronavirus in Europa noch keine Rolle spielt, gründet Ralf Ludwig dann noch eine zweite Firma. Es ist die Firma, die von Klagepaten später Geld erhalten wird: Juniko Legal Tech Konzepte (JLTK). 31 Prozent des Unternehmens gehören dem Aktivisten.
JLTK wird in der Datenschutzerklärung von Klagepaten als Dienstleister genannt (Bild: Screenshot netzpolitik.org)
Trotz der Namensähnlichkeit mit der älteren Juniko GmbH habe JLTK mit dieser nichts zu tun, beteuert die JLTK-Geschäftsführerin Anika Müller gegenüber netzpolitik.org. Dem Handelsregister zufolge ist das Unternehmen an ihrer Privatadresse eingetragen, über den Zweck heißt es dort knapp, JLTK kümmere sich um Bürodienstleistungen für Rechtsanwält:innen und Notar:innen.
Klagepaten ist weder das eine noch das andere. Dennoch hat die Firma mit dem Verein einen Vertrag abgeschlossen, wie Müller bestätigt.
Wie viel Geld bezahlt Klagepaten an JLTK?
Wir haben JLTK gefragt, in welcher Höhe Klagepaten an JLTK Zahlungen leistet. Eine Summe wollte uns die Geschäftsführerin nicht nennen. „Das kommt auf die jeweilige Dienstleistung an. Technische Dienstleistungen werden zu einem günstigeren als dem marktüblichen Preis abgerechnet, teilweise aber auch kostenlos erbracht”, so Anika Müller.
Auch Klagepaten wollte gegenüber netzpolitik.org nicht sagen, wie viel Geld der gemeinnützige Verein der Firma seines eigenen Gründers bezahlt. Unsere Anfrage, die wir an die erste Vorsitzende Jana Thieme adressiert hatten, blieb unbeantwortet. Erst im August hatte sie Ludwig aus unbekannten Gründen in dieser Funktion abgelöst.
Für seine Formulare wie zur massenhaften Anmeldung der Berlin-Demos nutzt Klagepaten fremde Technik. Sie stammt von einer indischen Firma namens Zoho. Deren Website zufolge ermöglicht das teuerste Abomodell für gerade mal 80 Euro im Monat 150.000 monatliche Einsendungen. Hier kommt JLTK ins Spiel – denn Klagepaten ist offenbar nicht selbst Kunde von Zoho, sondern nutzt bloß den Zoho-Zugang, der eigentlich JLTK gehört.
Vieles spricht dafür, dass erst JLTK und schließlich die Pandemie Voraussetzungen für die heutige Arbeit des Vereins schufen. In der Öffentlichkeit war von Klagepaten zuvor wenig zu sehen gewesen. Die Facebook-Seite von Klagepaten gibt es erst seit April, im selben Zeitraum meldete Ludwig eine Internetdomain für den Verein an. Laut Angaben, die bei der Registerstelle EURid hinterlegt sind, gehört diese Domain Ludwigs zweiter Firma – der Juniko GmbH, deren Alleingesellschafter er ist.
„Maximale Transparenz“, aber keine Frage beantwortet
Wir haben Ralf Ludwig einen ausführlichen Fragenkatalog geschickt, unter anderem zum Geschäftsverhältnis von Klagepaten zu JLTK. Auch wollten wir wissen, welche Funktion er heute bei Klagepaten bekleidet. Zweimal bieten wir ihm an, die Frist für eine Beantwortung unserer Fragen zu verlängern.
Ludwig schreibt uns, er stehe für „maximale Transparenz und Offenheit“. Dennoch will er sich zu keinem einzigen der von uns angesprochenen Punkte äußern. „Für den Moment bitte ich um Verständnis, dass ich Ihnen für die aktuelle Berichterstattung nicht zur Verfügung stehe“, teilt er uns per E-Mail mit. Zugleich schreibt er, ein so wichtiges Thema müsse aus seiner Sicht ordentlich recherchiert werden, damit er und andere später nicht mit vielfältigen Unterlassungsverfügungen vor den Gerichten operieren müssten.
In einem Livestream auf Facebook klagt Ludwig einen Tag nach unserer Anfrage über nicht näher benannte Medienrecherchen und bezeichnet diese als Versuch der Diskreditierung. Zugleich erklärt er seinen Zuschauer:innen: „Wir werden uns nicht für irgendwelche Dinge rechtfertigen, die an verschiedenen Stellen passieren.“
Weil wir keine Antworten von Ludwig erhalten haben, bleibt auch offen, wie es zu seinen Verstrickungen in eine weitere Initiative kam, die mehrere Auslandskonten betreibt. Wie Klagepaten sammelt sie Spenden und ist Teil der Anti-Corona-Bewegung. Auch der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Bodo Schiffmann ist involviert, der mit Ludwig schon „Widerstand 2020“ gegründet hatte. Doch die wahren Hintermänner versuchen wohl, sich hinter einer mutmaßlichen Briefkastenfirma in den Niederlanden zu verstecken.
Angebliche Corona-Riesenklage
Die Website „Das Volk gegen Corona“ empfängt Besucher:innen mit dem Foto eines kleinen Mädchens, das traurig aus dem Fenster blickt. Draußen schweben riesige Coronaviren vorbei, die es mit großen Augen beobachten. Darunter heißt es, unter dem Vorwand des Schutzes würden Millionen Menschen eingesperrt. Die Macher bezeichnen ihr Projekt als „Fortsetzung der Demonstration mit anderen Mitteln“ und versprechen „das gewaltigste Verfahren aller Zeiten in Deutschland“.
Aber als sie Mitte Juli die Internetdomains von „Das Volk gegen Corona“ registrieren, sind die Ausgangsbeschränkungen in Deutschland schon so weit gelockert, dass sie praktisch kein Thema mehr sind. Trotzdem geht die Website an den Start, ganz offensichtlich ausgelegt auf den größtmöglichen Effekt. Es geht um „die größte Lüge in der Menschheitsgeschichte“ oder „den perfekten Überwachungsstaat“, auch um „Angst und Panik auf höchstem Niveau“.
Auf den ersten Blick wirkt „Das Volk gegen Corona“ wie ein Schnellschuss, hastig zusammengeschustert mit Hilfe einer Spendenseiten-Vorlage. Links, die zu Unterseiten führen, wurden nie korrigiert. Sie heißen heute noch „/food-for-orphan-children“ oder „/pure-water-for-children“.
Eine Woche nach dem Start steht ein Spendensystem. Denn für all die Klagen und Gutachten brauche man Geld in „nicht geringem Umfang“, schreiben die Betreiber auf der Website. Die Kosten könnten ihnen zufolge schnell in die Millionen gehen.
Bankkonten im Ausland und ein Anrufbeantworter
Auf seiner Website schreibt „Das Volk gegen Corona“: „Die Spenden werden treuhänderisch in den Niederlanden gesammelt, um dem deutschen Staat eine Blockade zu erschweren.“ Das angegebene Spendenkonto liegt allerdings gar nicht in den Niederlanden, sondern bei einer Bank im belgischen Brüssel. Erst ein zweites Konto, das nur im Impressum genannt wird, führt tatsächlich zu einer Bank in Amsterdam.
Es ist diese Spendensammlung, für die nun ausgerechnet Klagepaten-Gründer Ralf Ludwig seine Hand ins Feuer legt: Er ist Schirmherr der Initiative. Nach Angaben auf der Website von „Das Volk gegen Corona“ koordiniert er unter anderem die Spendensammlung und „überwacht die ordnungsgemäße Nutzung der Gelder“.
Dabei verheimlichen die Hintermänner der Initiative, wer sie sind und damit, bei wem genau dieses Geld landet. Ihre Namen stehen nirgends auf der Website, wer die angegebene Telefonnummer mit der Vorwahl der hessischen Stadt Rodgau wählt, hört sofort eine Bandansage. „Leider ist es uns momentan aufgrund unserer Projektvorbereitungen nicht möglich, das Telefon zu besetzen“, sagt eine computergenerierte Frauenstimme.
Im Impressum steht dann zumindest ein Unternehmen, das für das Sammeln der Spenden verantwortlich sein soll: Medical Research Systems. Gegründet wurde es in der ersten Juli-Hälfte. Offiziell firmiert es in Kerkrade, einer Stadt in den Niederlanden. Nach Recherchen von netzpolitik.org ist es jedoch unwahrscheinlich, dass Medical Research Systems dort viel mehr als einen Briefkasten betreibt.
Laut dem niederländischen Handelsregister sind in dem einstöckigen Gebäude mehr als 50 Firmen registriert. Medical Research Systems wurde demnach über einen Mittelsmann angemeldet, der Unternehmensgründungen in Kerkrade als Dienstleistung anbietet.
Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit
Wir haben dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) die Umstände geschildert, unter denen Medical Research Systems offenbar sein Spendenkonto betreibt, und um eine Einschätzung gebeten. Die Einrichtung prüft gemeinnützige Organisationen und vergibt das renommierte DZI-Spenden-Siegel.
„Die Aussage, Spenden würden ‚treuhänderisch‘ gesammelt, kann nach unserer Einschätzung den Eindruck erwecken, als würden die Spenden von einer neutralen Person oder Institution verwaltet, die übergeordneten Standards der Ordnungsmäßigkeit genügt – also etwa ein Notar oder eine Stiftung“, sagt DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke.
Ein privates Unternehmen als Spendenadresse genügt einer solchen hohen Erwartung nach Einschätzung des DZI nicht. „Diese Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit werden umso größer, wenn das Unternehmen nicht etwa über ein Aufsichtsgremium verfügt, sondern von einer Einzelperson betrieben und besessen wird.“
Amulette und Vital-Diamanten
Einzelvertretungsbefugter Geschäftsführer von Medical Research Systems ist – wie es im Handelsregister heißt – ein Mann namens Dennis Haberschuss, der im Odenwaldkreis wohnt, also ganz in der Nähe von Rodgau. Er ist es auch, der wohl die Website von „Das Volk gegen Corona“ befüllt hat. Im Quelltext findet sich als Autor mehrerer Unterseiten das Pseudonym „caveman_d“, das Haberschuss im Netz offenbar schon länger als ein Jahrzehnt nutzt. Auch bei der Großdemo in Berlin nahm er Teil. Ein Foto zeigt ihn dort in schwarzer Anglerweste und einem weißen T-Shirt mit einer Aufschrift zu „Das Volk gegen Corona“.
In der deutschen Esoterik-Szene ist der 41-Jährige mit der Stoppelfrisur kein Unbekannter. Seit Jahren taucht sein Name in Verbindung mit vorwiegend pseudo-wissenschaftlichen Produkten auf, die viel Geld kosten, aber keine belegbare Wirkung haben. Unter anderem ist er Administrator eines Online-Shops, der einen rund 300 Euro teuren „Lebensfeldstabilisator“ verkauft. Um den Hals getragen, soll das runde Gerät Magnetfelder erzeugen, die sich auf die Gesundheit auswirken. Haberschuss betrieb auch eine Website, die wohl dem Vertrieb von „Vital-Diamanten“ diente: Schmuckstücken, die angeblich eine Biophotonenkonzentration im menschlichen Körper erhöhen.
Nach Recherchen von netzpolitik.org ist im Zusammenhang mit „Das Volk gegen Corona“ zudem ein zweiter Mann in Erscheinung getreten, bei dem es sich um einen langjährigen Geschäftspartner von Haberschuss handelt. Unter anderem veranstaltete jener Mann mehrere Esoterik-Kongresse, bei denen auch prominente Verschwörungsideolog:innen auftraten.
Bereits 2006 galten bis zu 15 Prozent der Deutschen laut einer Studie, an der die Universität Hohenheim beteiligt war, als „Spirituelle Sinnsucher“ – und sind damit offen für esoterische Angebote. Mit 15 bis 20 Milliarden Euro pro Jahr geben die Deutschen nach einer jüngeren Schätzung mehr als doppelt so viel Geld aus für esoterische Bücher, Seminare oder Wunderheilprodukte wie die gesamte Brauereibranche des Landes erwirtschaftet.
Deutschland, ein besetztes Land?
Doch bei Dennis Haberschuss geht es nicht nur um Esoterik. Im April verfasste er einen Tweet und richtete ihn an US-Präsident Donald Trump: „Sie sind der Oberbefehlshaber der Besatzung in Deutschland“, schrieb er auf Englisch. „Bitte schicken Sie Ihre Soldaten nach Berlin und beseitigen Sie die korrupte Pseudo-Regierung.“
Dennis Haberschuss‘ Tweet an Donald Trump (Foto aus urheberrechtlichen Gründen von der Redaktion unscharf gemacht) (Bild: Screenshot netzpolitik.org)
Diese Botschaft des Hintermanns von „Das Volk gegen Corona“ erinnert stark an die Ideologie der Reichsbürger. Deren Grundüberzeugung nach ist die Bundesrepublik kein souveräner Staat und Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs insgeheim von den Alliierten besetzt. Sie glauben häufig auch, dass das Deutsche Reich formal noch heute existiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt vor dieser Bewegung. Der Geheimdienst sprach in diesem Zusammenhang von Verschwörungstheoretiker:innen und Geschäftemacher:innen.
Das Fürstentum Germania und eine Bitte an Trump
Schon Dennis Haberschuss’ inzwischen verstorbener Vater Toni – selbst eine Größe in der Esoterik-Szene – fiel im Umfeld der Reichsbürgerbewegung auf. 2009 war dieser einer der Drahtzieher des „Fürstentums Germania“, einem Scheinstaat, der in Brandenburg gegründet wurde. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Dennis Haberschuss am „Fürstentum Germania“ mitgewirkt hat. Mehrere Landesämter für Verfassungsschutz betrachten dieses seither jedoch als exemplarisch für die Machenschaften der Reichsbürgerbewegung.
Wir haben Dennis Haberschuss Fragen geschickt, etwa zu Medical Research Systems und seinem Tweet an Donald Trump. Auf unsere Anfrage hat er nicht reagiert.
Bloß ein „Mittelständler“
Für den Rechtsanwalt Ralf Ludwig sind die Gründer von „Das Volk gegen Corona“ offenbar „Mittelständler“, wie er in einem Video auf der Facebook-Seite von Klagepaten erläuterte. Im Gespräch mit dem Verschwörungsideologen Martin Lejeune sagte er zudem: „Ziel dieser Seite ist, Geld zu sammeln für größere Gutachten, die wir in Gerichtsverfahren einsetzen können oder auch an anderer Stelle.“
In dem Video, das Lejeune am Samstagabend auf YouTube veröffentlichte, gibt Ludwig an, er habe erst kürzlich bei der Initiative angerufen und darum gebeten, Geld in eine Art Studie zu investieren. Der Schirmherr von „Das Volk gegen Corona“ sagt, er wüsste durch diese Studie gerne, warum Menschen auch dann noch an einer Entscheidung festhalten, wenn sich herausstellt, dass sie falsch war.
Noch Ende August warb die Initiative auf ihrer Website mit einer Partnerschaft mit Klagepaten und „Anwälte für Aufklärung“, einem losen Netzwerk von Rechtsanwält:innen, das ebenfalls zur Anti-Corona-Bewegung gehört. Doch der Hinweis auf diese angeblichen Partnerseiten ist verschwunden.
Der Kölner Anwalt Gordon Pankalla, der wie Ludwig an der Gründung von „Anwälte für Aufklärung“ beteiligt war und auf deren Website im Impressum steht, sagt netzpolitik.org, die Gruppe habe mit „Das Volk gegen Corona“ nichts zu tun. „Ich finde das mit diesen Spenden über Holland relativ merkwürdig.“ Pankalla sagt auch, er wisse nichts über die Initiative. „Es ist schon etwas undurchsichtig, weil Ralf Ludwig so vieles macht.“
Anti-Corona-Prominenz als Unterstützer
Ralf Ludwig ist nicht das einzige prominente Gesicht, das mit „Das Volk gegen Corona“ in Verbindung gebracht wird. Nach unseren Anfragen scheinen die Macher damit begonnen zu haben, Spuren zu verwischen. Noch Anfang vergangener Woche hieß es auf der Website, auch der Ulmer „Querdenken“-Anwalt Markus Haintz unterstütze die Initiative. „Als Teil des Teams ist er maßgeblich an der Klagevorbereitung und Klageerhebung beteiligt.“
Inzwischen wurde diese Unterseite gelöscht, die auch ein Foto von ihm zeigte. Eine E-Mail mit Fragen zu seiner angeblichen Rolle bei „Das Volk gegen Corona“ beantwortete Haintz nicht.
Mittlerweile gelöschte Unterseite zu Markus Haintz auf der Website von Das Volk gegen Corona (Foto aus urheberrechtlichen Gründen von der Redaktion unscharf gemacht, Bild: Screenshot netzpolitik.org)
Ein überzeugter Fürsprecher ist indes Bodo Schiffmann. Der Sinsheimer ist wie Ralf Ludwig und Michael Ballweg eines der prominentesten Gesichter der Anti-Corona-Bewegung. Sein Name und Foto sind gut sichtbar auf der Startseite platziert. Während er am Freitagabend im Vorfeld der „Querdenken“-Demo durch die Münchner Innenstadt spaziert und per Livestream mit seinen Anhänger:innen plaudert, kommt er auch auf die Initiative mit der mutmaßlichen Briefkastenfirma zu sprechen. „Das sind Unternehmer, die Geld sammeln“, sagt Schiffmann.
Wir haben den HNO-Arzt nach Medical Research Systems gefragt – der Firma, deren Geschäftsführer ein Mann ist, der jahrelang an Esoterik-Produkten verdient zu haben scheint und der seiner Äußerung auf Twitter zufolge womöglich rechtsradikale Ansichten zum Status der Bundesrepublik vertritt. Bodo Schiffmann antwortete uns nicht.
Falsche Kontoangaben und Schenkungen
Schiffmann wollte auch andere Punkte nicht kommentieren. Bei diesen ging es unter anderem um wohl falsche Angaben im Zusammenhang mit einer weiteren Spendensammlung, die bis vor Kurzem noch auf der Website des „Außerparlamentarischen Corona Ausschusses“ (ACU) standen, einer Initiative der Gruppe „Ärzte für Aufklärung“, deren Sprecher Schiffmann ist. Für Spenden war dort ein Bankkonto genannt worden, von dem behauptet wurde, es gehöre dem ACU sowie einem namentlich genannten Mediziner.
Dieselbe Kontonummer tauchte jedoch auch auf einer weiteren Website auf, die nicht unmittelbar mit der Anti-Corona-Bewegung zu tun hat. Genannt wurde dort ein gänzlich anderer Kontoeigentümer. Es habe sich dabei um einen Fehler gehandelt, schrieb uns ein Mann, bei dem es sich mutmaßlich um den Administrator der beiden Websites handelt. Nach unserer Anfrage hat er die entsprechende Kontonummer von der ACU-Website entfernt.
Die Unklarheit über die Kontoeigentümerschaft beim Spendenkonto des ACU scheint sinnbildlich zu sein für das Selbstverständnis, mit dem die Anti-Corona-Bewegung Spenden einsammelt. Zum Teil scheint es sich bei den Spendenkonten schlichtweg um die Konten von Privatpersonen zu handeln, wie beim Frontmann von „Querdenken“ Michael Ballweg
Auf der Website des Stuttgarter Ablegers ist in diesem Zusammenhang auch gar nicht wirklich von „Spenden“ die Rede, sondern von „Schenkungen“. Weiter heißt es, die Gesamtsumme der Überweisungen dürfe einen Betrag von 19.999 Euro in zehn Jahren nicht übersteigen. Ab 20.000 Euro wird bei Menschen, die nicht Teil der eigenen Familie sind, eine Schenkungssteuer fällig.
Intransparenz fördert den Missbrauch von Spendengeldern
Es gebe keine einheitlichen Veröffentlichungspflichten für zivilgesellschaftliche Organisationen, sagt Folkard Wohlgemuth von Transparency International. Die Organisation beobachtet solche Probleme in Deutschland schon länger. „Die dadurch entstehende Intransparenz fördert den Missbrauch von anvertrauten Geldern und verhindert, dass die eigene Arbeit für die Öffentlichkeit und Spender:innen nachvollziehbar wird.“
Seit ein paar Tagen versprechen Ralf Ludwig und weitere Aktivist:innen aus der Anti-Corona-Bewegung, die netzpolitik.org angefragt hat, eine Pressekonferenz. Stattfinden soll sie demnach noch in dieser Woche. Ludwig schreibt, in der Pressekonferenz würden einige der von uns kontaktierten Unternehmen, Vereine und Privatpersonen für alle Medien alle Hintergründe und Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Organisationen mit maximaler Transparenz öffentlich machen, sofern solche bestünden.
Wir haben Ralf Ludwig bereits am vergangenen Mittwoch gebeten, uns mitzuteilen, wann und wo diese Pressekonferenz denn stattfinden soll. Seither hat er sich nicht mehr gemeldet.
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