„Querdenken“: Der geschäftige Herr Ballweg
In einem mexikanischen Restaurant im thüringischen Saalfeld kommen im November „Querdenken“-Anhänger:innen aus ganz Deutschland zusammen. Viele von ihnen wissen nicht, worauf sie sich eingelassen haben. Sie wissen nicht, dass das „Hacienda Mexicana“ nicht irgendein Restaurant ist, sondern laut einem Schild im Eingangsbereich zum fiktiven „Königreich Deutschland“ zählt und damit zur Szene der Reichsbürger. Sie wissen auch nicht, dass „König Peter I.“ persönlich anwesend sein wird. Oder zumindest jemand, der sich so nennen lässt, aber eigentlich Peter Fitzek heißt.
Eingefädelt haben soll das Treffen Michael Ballweg, wie mehrere „Querdenker“ übereinstimmend berichten. Der „Querdenken“-Gründer dürfte gewusst haben, mit wem er sich einließ. Bereits im Oktober hat er Fitzek getroffen, fasziniert war er von einer Bank, die das „Königreich Deutschland“ betreibt. Sogar ein Konto eröffnete er dort.
Viele Eingeladene werfen Ballweg nun vor, den pikanten Charakter des Treffens vor ihnen verheimlicht zu haben, die Rede ist von „Verrat“. Es heißt, Eingeweihte sollen im Vorfeld sogar vor dem Plan gewarnt haben – aber Ballweg habe nicht mit sich reden lassen. Die Causa Saalfeld hat innerhalb der Bewegung zu viel Ärger geführt.
Wer Michael Ballweg reden hört, könnte den Eindruck gewinnen, er habe zumindest in seinen Augen noble Ziele. Seit dem Frühjahr protestiert „Querdenken“ gegen die Maßnahmen, die Menschen vor der Corona-Pandemie schützen sollen. Die Erzählung, die der 46-jährige IT-Unternehmer aus Stuttgart kundtut, um sein politisches Engagement zu begründen, sieht so aus: Er habe das Hauptprodukt seiner Firma verkauft, ein Programm zum Projektmanagement, und seine Rentenversicherungen aufgelöst. Das Geld nutze er nun, um für das vermeintlich Gute zu kämpfen.
Erst diese Woche behauptete er wieder in einer Pressemitteilung, er lebe lieber in einer freien Welt ohne Geld als in einer unfreien Welt mit viel Geld. Dabei hat Michael Ballweg im Zusammenhang mit „Querdenken“ Geschäfte mit Firmen gemacht, von denen er persönlich profitiert hat. Das zeigen gemeinsame Recherchen von netzpolitik.org und dem ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann.
Häufig tritt Ballweg dabei im Zentrum der Initiative auf, obwohl er alleine agiert. Bis heute hat „Querdenken-711“ keine festgelegte Rechtsform: Es gibt keinen eingetragenen Verein, keine Stiftung, keine Firma, nur Michael Ballweg selbst. Mit einem Unternehmer aus Baden-Württemberg schloss er einen Vertrag ab, der ihm wohl 20.000 Euro einbringen sollte. Auch an Einnahmen durch „Querdenken“-Fanartikel, die in ganz Deutschland verkauft werden, ist er beteiligt, während lokale Ableger der Initiative leer ausgehen.
In Interviews stellt Ballweg „Querdenken“ als Initiative dar, bei der alle mitreden dürfen. Es handele sich dabei um eine „demokratische Bewegung“, sagte er dem RBB. Dem Verschwörungsideologen Ken Jebsen erzählte er, „Querdenken“ sei eine Organisation ohne Spitze. Jedoch deutet einiges darauf hin, dass Ballweg selbst diese Spitze ist. Seit Monaten kontrolliert der Mann, den niemand gewählt hat, was unter dem Namen von „Querdenken“ geschieht. Etwa mit dem Treffen in Saalfeld.
Ein Deal zwischen zwei Geschäftsmännern
Mitte Juni tanzt Ballweg auf einer „Querdenken“-Demo in Leonberg bei Stuttgart hinter einer westafrikanischen Trommel, auf der jemand einen Kristall aufgebahrt hat. Der barfüßige Auftritt zählt zu den bizarreren in seiner Karriere als Aktivist. Ballweg ist nicht alleine, zuständig für die Klangkulisse aus Elektrobeats ist ein bärtiger Mann mit langen Haaren und weißem Gewand. „Michael und ich, wir hauen uns jetzt nochmal rein für euch!“, schreit der ins Mikrofon.
Der Musiker ist ein Unternehmer aus Baden-Württemberg, Thomas Hornauer. Ein Vermögen machte er einst mit Sex-Hotlines und Esoterik. Was das Publikum nicht weiß, das vor der „Querdenken“-Bühne im Takt mitwippt: Hornauer bezahlt Ballweg für diese Szene.
„In Deutschland musst du viel Geld in die Hand nehmen, dass du mal Tausend Leute zusammenkriegst“, sagt Hornauer uns am Telefon. Schon deshalb habe sich der Deal mit Ballweg gelohnt. 5000 Euro habe er dem „Querdenken“-Gründer überwiesen. In Leonberg tritt er bereits zum dritten Mal an der Seite von Ballweg auf.
Nach Recherchen von netzpolitik.org und dem ZDF Magazin Royale haben die beiden Männer auch einen Vertrag abgeschlossen. Er regelt die Übertragung von Rechten an Bild- und Tonaufnahmen durch Ballweg und „Querdenken-711“ an Hornauer, der auf der Bühne aufgetreten war. Sie wollten von dem Unternehmer hierfür 5000 Euro.
Ballweg und „Querdenken-711“ stellten Hornauers Firma in diesem Zusammenhang auch eine Rechnung. Sie trägt die Nummer „2006-0001“. Ballweg forderte demnach, dass sich Hornauer auch mit 15.000 Euro an Produktionskosten an drei „Querdenken“-Veranstaltungen beteilige. Insgesamt 20.000 Euro sollte er an eine IBAN mit den Endziffern „9013“ überweisen. Es ist ein Privatkonto von Michael Ballweg.
Ballweg hofft offenbar noch heute, Geld aus diesem Geschäft zu erhalten. „Drei Viertel der vereinbarten Vergütung stehen noch aus“, teilt er uns mit. Hornauer bestätigt auf Anfrage, die übrigen 15.000 Euro nicht bezahlt zu haben. Er sei mit einigen Dingen, die in Leonberg passiert seien, nicht einverstanden gewesen, und auf Distanz zu der Initiative gegangen.
Ein offizieller Fan-Shop
Thomas Hornauer ist nicht der einzige, mit dem Michael Ballweg einen Vertrag abgeschlossen hat. Spätestens seit Juni bietet „Querdenken-711“ auf seiner Website eigene Fanartikel an als handele es sich bei der Bewegung um den FC Bayern. In einem Online-Shop listet die Initiative mittlerweile 69 unterschiedliche Produkte auf. Verkauft werden Jacken, T-Shirts, sogar Aufkleber für die Heckscheibe.
„Querdenken-711“ arbeitet dabei mit einer Firma namens MerchYou aus Nordrhein-Westfalen zusammen. Diese bewirbt das Angebot seit Monaten auf Telegram, wie eine Datenauswertung zeigt. Mindestens 79 Chat-Nachrichten haben Verantwortliche hierzu in „Querdenken“-Gruppen gestreut. Dabei preisen sie die Fanartikel an wie Lifestyle-Produkte. „Für jede Wetterlage die passende Kleidung“, schreiben sie. „Eine „Querdenken-Herbst/Winter-Kollektion“ sei „ab sofort“ erhältlich.
MerchYou wollte sich auf Anfrage nicht zu den Konditionen äußern, die das Unternehmen mit Ballweg und „Querdenken-711“ vereinbart hat. Aber als sich ein Anhänger in der Krefelder Telegram-Gruppe „Querdenken-215“ versichern will, dass ein Teil des Geldes auch wirklich an die Bewegung gehe, schreibt ihm ein MerchYou-Geschäftsführer: „Wir unterstützen ‚Querdenken‘ mit dem Merch.“
Damit scheinen Zweifel bereinigt. Doch so einfach ist es nicht, wie unsere Recherchen zeigen.
„Querdenken“-Lokalgruppen gehen leer aus
Längst hat MerchYou neben Stuttgart etliche weitere Vorwahl-Bereiche in sein Sortiment aufgenommen. Bestellen kann man dort nun zum Beispiel Hoodies von „Querdenken-69“ aus Frankfurt.
Wir haben eine Reihe örtlicher Ableger von „Querdenken“ gefragt, wie MerchYou sie an Erlösen beteilige. „Wir bekommen davon nichts“, sagt Malin Joy Singh, die für die Gruppe in Frankfurt zuständig ist. „Das Geld geht nach Stuttgart.“ Andere Lokalgruppen, mit denen wir gesprochen haben, berichten ähnliches.
Profiteur des „offiziellen ‚Querdenken‘-Shops“ ist Michael Ballweg selbst mit „Querdenken-711“, unabhängig von der Vorwahl, die auf den Fanartikeln steht. Jedes Mal, wenn jemand einen Hoodie oder ein T-Shirt kauft, erhalten er und „Querdenken-711“ nach eigenen Angaben umgerechnet mal sechs, mal zwölf Prozent des Verkaufspreises. Er rechtfertigt seine Beteiligung damit, dass er T-Shirts oder ähnliches mitbringe, wenn er auf Demos eingeladen werde. Zahlen nennt er nicht.
Etliche Lokalgruppen verlinken den „offiziellen ‚Querdenken‘-Shop“ auf ihren Websites, auch wenn das bedeutet, dass ihre eigenen Kassen dann womöglich leer bleiben. „Wir sollen das so machen“, sagt Malin Joy Singh aus Frankfurt. „Das ist ein Standard.“
Tatsächlich empfiehlt Ballweg den übrigen Gruppen, MerchYou zu nutzen. Er hält das augenscheinlich für einen fairen Deal. „Ich kenne keine Lokalgruppe, die sich jemals beklagt hätte“, schreibt er uns. Und überhaupt: Es gebe ja gar keinen Zwang, eine „Querdenken“-Initiative zu gründen. Wer Ballweg nach den Finanzen seiner Initiative fragt, stößt häufig auf Gleichgültigkeit, meist auf Ablehnung.
Spenden oder Schenkungen?
Ein Satz in einer Pressemitteilung, die „Querdenken-711“ am Montag verschickt hat, sagt viel darüber aus, wie der Initiator über die Einnahmen denkt: „Anders als Parteien unterliegt der ‚Querdenken‘-Gründer als Privatperson keiner Transparenzpflicht.“ Doch wenn es um Geld geht, fällt es dem Stuttgarter schwer, zwischen sich und seiner Bewegung klare Trennlinien zu ziehen. Mitunter verstrickt er sich dabei in Widersprüche.
Mitte Juli spricht Ballweg auf einer „Querdenken“-Kundgebung vor dem Mannheimer Schloss. Die Vorbereitungen für die Großdemonstration in Berlin am 1. August laufen bereits auf Hochtouren. Nach Schätzungen mehrerer Beteiligter soll sie einen sechsstelligen Euro-Betrag kosten. „Ich habe bisher noch nicht zu Spenden aufgerufen“, sagt Ballweg in Mannheim, er habe sich das für einen wichtigen Moment aufheben wollen. Der sei jetzt gekommen. „Bitte unterstützt uns und nutzt nur das offizielle Spendenkonto auf unserer Website.“
Im Netz ist diese Szene gut dokumentiert, „Querdenken-711“ hat ein Video davon auf seinen YouTube-Kanal hochgeladen. Vielleicht wäre sie heute nicht der Rede wert, hätte Ballweg dem ARD-Magazin Kontraste nicht später ein erstaunliches Interview gegeben. „Ich sammele keine Spenden“, sagt Ballweg. „Wir nehmen Schenkungen an“ – „weil ich’s als Einzelperson mache – als Privatperson.“
Wenn man Ballweg heute fragt, warum er sich so widersprüchlich geäußert habe, versucht er, den Spieß umzudrehen. In seiner E-Mail klagt er über angebliche „Wortverdrehungen mancher Medienvertreter“. Aber es sind Ballwegs eigene Worte, die in diesem Fall Fragen aufwerfen – veröffentlicht von „Querdenken-711“ auf YouTube. Im Fernsehbeitrag von Kontraste kam die Aussage zu den Schenkungen gar nicht vor.
Auf der Website von „Querdenken-711“ heißt es, die Gesamtsumme der Überweisungen pro Privatperson dürfe einen Betrag von 19.999 Euro in zehn Jahren nicht übersteigen. So ist es theoretisch möglich, dass aus vielen kleinen Summen ein ganzes Vermögen entsteht. Kommen mehr als diese 20.000 Euro pro Person zusammen, wird eine Schenkungssteuer fällig.
Weil Ballweg als „Querdenken-711“ am Merchandise mitverdient und Deals mit Leuten wie Hornauer macht, könnten die Schenkungen unter Umständen aber als gewerbliche Einkünfte gewertet werden. Dann müsste er sie wohl nachträglich versteuern.
„Querdenken-711“ behauptet im selben Zusammenhang auch: „Du hilfst uns damit bei der Organisation der Demos und Finanzierung der Klagen.“ Dieser Satz könnte Ballweg Probleme bereiten, denn er deutet darauf hin, dass die Überweisungen zweckgebunden sein könnten. Dann dürfte Ballweg nicht frei über das Geld verfügen – es wären zweckgebundene Spenden. Dies würde bedeuten, dass Ballweg Rechenschaft ablegen müsste.
Die Kontonummer mit den Endziffern „9013“ nutzt Ballweg nach Recherchen von netzpolitik.org und dem ZDF Magazin Royale mindestens seit Juni, spätestens seit Juli steht sie im Netz. Ballweg will nicht sagen, wie viel Geld er darüber bislang eingenommen hat.
Wie groß die Spendenbereitschaft der Bewegung ist, wird jedoch schon im Frühjahr bei einem Vorfall in Stuttgart deutlich. Als in der Nacht vor einer Demo mehrere Lastwagen mutmaßlich infolge eines Brandanschlags zerstört werden, kommen nach Medienberichten binnen kurzer Zeit 225.000 Euro zusammen. Die Spenden, um die Lastwagen zu ersetzen, gehen damals zwar nicht an Ballweg. Aber heute sammelt „Querdenken-711“ Geld auf dem Konto mit den Endziffern „9013“, das auf seinen Namen läuft.
Das Konto gehört Michael Ballweg
Auch hierzu macht Ballweg widersprüchliche Angaben. Als die FAS im November thematisiert, seine private Kontonummer werde auf der Website genannt, behauptet „Querdenken-711“ per Pressemitteilung, diese Aussage sei falsch und fordert eine „Richtigstellung“. Das Konto sei bloß auf Ballwegs Namen eingerichtet worden, aber für Aktivitäten zur Wiederherstellung verloren geglaubter Grundrechte bestimmt. Ballweg schreibt hier laut den Metadaten des Dokuments offenbar über sich selbst in der dritten Person.
Noch im Gespräch mit Kontraste sagte Ballweg im September über das Spenden- oder Schenkungskonto mit den Endziffern „9013“ klipp und klar: „Ja, das Konto ist ein Privatkonto, denn es läuft auf den Namen Michael Ballweg und damit auf eine Privatperson.“ Auch von dieser Aussage lässt sich auf dem YouTube-Kanal der Initiative eine Aufnahme finden. Ballweg antwortete damals vor laufender Kamera auf eine Frage, die netzpolitik.org ihm zuvor schriftlich gestellt hatte.
Heute versucht sich Ballweg an einer neuen Argumentationslinie. In seiner E-Mail an uns beteuert er nun, bei diesem Privatkonto habe es sich von Anfang an nur um ein „Übergangskonto“ gehandelt. Dass er dieses vermeintliche Übergangskonto seit mindestens einem halben Jahr nutzt, daran gibt er jetzt dem Regierungspräsidium Darmstadt die Schuld.
Was wurde aus der Stiftungsgründung?
Ballwegs Initiative hat kürzlich große Pläne enthüllt. Er wolle, wie die Initiative mitteilt, zwei Firmen gründen: eine herkömmliche sowie eine gemeinnützige GmbH. Untergeordnet werden sollen die Firmen angeblich einer Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main, die auch den Namen der Initiative trage. Bereits im Juni sei diese Stiftung angemeldet worden, aber das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt ziehe die Gründung in die Länge.
„Insofern lade ich Sie gerne ein, beim Regierungspräsidium nachzuhaken, warum die Gründung der Stiftung sich seit Monaten verzögert“, schreibt uns Ballweg. Wir haben das getan und beim Regierungspräsidium nachgefragt. Die Antwort, die wir erhalten haben, ist kurios. Sie weckt erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Ballwegs Aussagen.
Das Regierungspräsidium teilt mit, Ballweg habe nicht wie behauptet im Juni, sondern erst im Oktober Unterlagen für eine gemeinnützige Stiftung namens „QUERDENKEN711“ zur Vorprüfung eingereicht. „Herr Ballweg“, schreibt uns eine Sprecherin der Behörde am Mittwoch, habe von der Gründung „jedoch sehr schnell Abstand genommen“.
Die Vorprüfung einer Stiftungsgründung im Herbst würde zum zeitlichen Ablauf passen, der bislang bekannt war. Mitte Oktober hatte Ballwegs Rechtsanwalt Ralf Ludwig gegenüber netzpolitik.org bestätigt, dass „Querdenken-711“ als Organisation noch keine Rechtsform hat. „Herr Ballweg hat mir gesagt, er habe nächste Woche ein Gespräch mit seinem Steuerberater, wie das Ganze einzuordnen ist“, sagte Ludwig damals.
Rund eine Woche später meldete der MDR auf einmal, Ballweg habe angekündigt, er wolle „in den nächsten Tagen“ eine Stiftung gründen. Warum er nun dennoch beteuert, dies bereits im Juni getan zu haben und das zuständige Regierungspräsidium davon nichts zu wissen scheint, ist unklar.
Anzeige beim Stuttgarter Finanzamt
Inzwischen hat wohl auch das Stuttgarter Finanzamt von Michael Ballweg und „Querdenken-711“ erfahren. netzpolitik.org und dem ZDF Magazin Royale liegt eine Anzeige vor, welche die uns namentlich bekannten Verfasser:innen beim Finanzamt erstattet haben. Sie haben das Schreiben nach eigenen Angaben im Herbst an die Abteilung für Steuerfahndung geschickt.
„Wir weisen darauf hin, dass einige Medien über die wirtschaftlichen Betätigungen von ‚Querdenken-711‘, insbesondere die erheblichen Einnahmen der Organisation berichtet haben“, heißt es darin. „Auf der Website wirbt die Organisation für Spenden und behauptet, dass die Anerkennung der Gemeinnützigkeit derzeit noch in Arbeit sei.“ So entstehe der Eindruck, dass es sich bei der Initiative um eine Organisation handele, bei der eine gemeinnützige Anerkennung zumindest möglich sei. Ob dies zutrifft, scheint in Anbetracht der Ungereimtheiten bei der Stiftungsgründung fraglich.
Das Finanzamt teilt mit, es dürfe den Eingang einer solchen Anzeige nicht bestätigen und verweist auf das Steuergeheimnis. Ballweg schreibt uns, bislang habe ihn die Behörde nicht kontaktiert.
Ballweg gehören 19 „Querdenken“-Marken
Ähnlich undurchsichtig wie die Finanzen von „Querdenken“ sind auch die Strukturen innerhalb der Bewegung. Sie besteht eigentlich aus vielen lokalen Gruppen, die eigenständig agieren sollen. Unsere Recherchen offenbaren jedoch eine inoffiziell-faktische Hierarchie, an deren Spitze sich Ballweg selbst gesetzt hat.
Im Juni wendet sich der Unternehmer an eine Kieler Anwaltskanzlei. Es geht um Kontrolle, vielleicht um Macht. Niemand außer ihm soll als „Querdenken-711“ auftreten dürfen. Also meldet die Kanzlei in seinem Namen „Querdenken“ mit der Abwandlung der Stuttgarter Vorwahl als Wortmarke beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) an. Es geht um drei Markenklassen, die Internetplattformen betreffen, auch die Produktion von Videos und die Organisation politischer Veranstaltungen.
Man habe festgestellt, dass „Querdenken“-Internetdomains belegt worden seien, um sie für „rufschädigende Propaganda“ zu nutzen, so Ballweg. „Deshalb haben wir vorausschauend gehandelt und die Marken registriert.“ Mit „wir“ meint er anscheinend sich selbst.
Ihm geht es dabei nicht nur um „Querdenken-711“, den Stuttgarter Ableger der Initiative, den er anführt. Ballweg denkt größer. Der Datenbank des DPMA zufolge gehören ihm heute unter anderem die Wortmarken für Berlin mit „Querdenken-30“, München mit „Querdenken-89“ und Hamburg mit „Querdenken-40“.
Um „Querdenken“-Marken für 19 Städte in ganz Deutschland in seinen Besitz zu bringen, hat Ballweg offenbar tief in die Tasche gegriffen: Laut Preisliste auf der Website verlangt die Kanzlei pro Markenanmeldung 299 Euro Netto-Honorar. Hinzukommen die Gebühren, die das DPMA für die Anmeldung verlangt. Ballweg dürfte für alle Markenanmeldungen also mehr als 11.000 Euro ausgegeben haben. Ob er die Marken behalten darf, muss noch geklärt werden: Eine Münchner Firma mit einem ähnlichen Namen hat Widerspruch eingelegt. Zuerst berichtete hierüber die FAZ.
Nach Recherchen von netzpolitik.org und dem ZDF Magazin Royale nutzt der Gründer die Markenrechte dennoch bereits, um innerhalb der „Querdenken“-Bewegung seinen Willen durchzusetzen.
Rauswurf per Pressemitteilung aus Stuttgart
Einer von Ballwegs Kritiker:innen ist Volkmar Zimmermann, noch bis vor Kurzem Teamleiter des Berliner Ablegers „Querdenken-30“. Manche Vorgaben, die Ballweg den Lokalgruppen auferlegt habe, hätten nicht zu einer Bürgerbewegung gepasst, sagt Zimmermann uns am Telefon. Sie seien höchstens dazu geeignet gewesen, Gewinne zu generieren.
Im Oktober tauscht Ballweg ihn einfach aus. Er nutzt die enorme Reichweite seiner Stuttgarter Kanäle, um zwei neue Organisator:innen zu benennen. Die Pressemitteilung, die er aussendet, wirkt wie eine Formalie, eine knappe Information, damit alle im Bilde sind. „Nicht mehr verantwortlich: Volkmar Zimmermann“, steht dort. Dabei ist unklar, warum Ballweg dazu befugt sein soll, aus der Ferne eine solche Entscheidung zu treffen.
Zimmermann sagt, Ballweg habe ihm auch eine E-Mail geschickt und verboten, den Namen „Querdenken“ zu nutzen. Andernfalls würde er eine Markenrechtsverletzung begehen. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem „Abmahntonfall“.
Im Wesentlichen räumt Ballweg dies ein. Er begründet die Nachricht damit, dass Zimmermann noch immer Social-Media-Kanäle unter dem Namen „Querdenken-30“ nutze. „Wir haben ihn aufgefordert, die entsprechenden Kanäle an das neue Team zu übergeben und in diesem Zusammenhang auf die Markenrechte verwiesen.“ Dabei können Markenrechtsansprüche eigentlich nur geltend gemacht werden, wenn es um geschäftliche Aktivitäten geht.
Man könnte Ballwegs Hinweis auch als Warnung an alle anderen Lokalgruppen verstehen, auf keinen Fall aus der Reihe zu tanzen.
Die Bewegung als Pyramide
Zimmermann ist nicht der einzige, der sich über Ballwegs Anordnungen beschwert. Auch Äußerungen von Stephan Bergmann deuten darauf hin, dass nicht alle damit einverstanden sind, wie innerhalb der Bewegung Entscheidungen getroffen werden. Bergmann war monatelang Pressesprecher von „Querdenken-711“ und damit im innersten Kreis. Wegen des Geheimtreffens mit „König Peter I.“ hat er mit der Initiative gebrochen.
Wer Bergmann zuhört, könnte den Eindruck gewinnen, es habe auch bei „Querdenken“ eine Art Herrscher gegeben. In einem YouTube-Video redet sich der Aussteiger in Rage. „Ohne, dass der Michael irgendwas freigegeben hat, ist da gar nichts gelaufen“, schimpft er. „Querdenken-711“ sei aufgebaut wie eine Pyramide. „Es hat sich irgendwie diktatorisch für mich angefühlt.“
Als wir Ballweg mit Bergmanns Worten konfrontieren, wischt er die Kritik beiseite. Er teile diese Meinung nicht und schließlich lobten viele „Querdenker“ die angebliche Selbstverwaltung der Ortsgruppen, sodass eine große Freiheit darin bestehe, Veranstaltungen zu gestalten, wenn man sich im Rahmen des „Manifests“ bewege.
Auch wenn Ballweg abstreitet, sich zu bereichern: In der Summe entsteht das Bild eines Mannes, der wie im Fall seines Deals mit Thomas Hornauer das Publikum seiner Kundgebungen monetarisiert, an Fanartikeln verdient und Spenden über ein Privatkonto sammelt, ohne darüber Rechenschaft zu geben.
Das „Querdenken-Manifest“, auf das er sich beruft und nach dem sich alle richten sollen, besteht aus rund 150 Wörtern. Es handelt vom Kampf gegen die Corona-Maßnahmen und einigen Dingen, für welche die Bewegung stehen will, zum Beispiel für Wahrheit, Demokratie und einen respektvollen Austausch.
Nicht im „Querdenken“-Manifest steht der Name Michael Ballweg.
Lizenz für Text und re:publica-Video: Creative Commons BY-NC-SA 4.0